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Die Kahnakten

Eine noch nicht restaurierte Kahnakte, die den Zustand einer „zusammen gebackene, verschlammte Masse" hat.

Gesunkene Schätze - Die Kahnakten

Bei den sogenannten "Kahnakten" handelt es sich um Akten, die Ende des Zweiten Weltkriegs vor den Bomben der Alliierten aus dem Staatsarchiv Düsseldorf gerettet werden sollten. Der dazu eingesetzte Lastkahn sank jedoch infolge eines Bombenangriffs im Hafen Hannover-Linden. Die Akten wurden erst ein halbes Jahr später als „übel riechende, zusammen gebackene, verschlammte Masse“ geborgen. Das Landesarchiv NRW restauriert und digitalisiert die Akten und macht sie nach über 70 Jahren wieder für die Öffentlichkeit zugänglich und die historische Forschung verfügbar.

Die Restaurierung der Kahnakten im Landesarchiv NRW ist das umfangreichste und zeitaufwändigste Projekt zur Rettung kriegsgeschädigten Archivguts in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Geschichte der Kahnakten

29.3.1942: Luftangriff auf Lübeck (neue Phase des Luftkriegs während des 2. Weltkriegs) 1.5.1942: Der Generaldirektor der Preußischen Archive verfügt die systematische Verbringung wertvoller Archivbestände in Ausweichlager. Aus dem Staatsarchiv Düsseldorf sind bis Ende 1944 ca. 85% der Bestände ausgelagert, zunächst v.a. auf Burgen, in Klö...

29.3.1942: Luftangriff auf Lübeck (neue Phase des Luftkriegs während des 2. Weltkriegs)

1.5.1942: Der Generaldirektor der Preußischen Archive verfügt die systematische Verbringung wertvoller Archivbestände in Ausweichlager. Aus dem Staatsarchiv Düsseldorf sind bis Ende 1944 ca. 85% der Bestände ausgelagert, zunächst v.a. auf Burgen, in Klöstern und Bergwerken entlang des Rheins.

Sommer 1944:  Wegen des Vormarschs der Alliierten werden mehrere Lagerorte aufgegeben und der Transport des Archivguts aus dem Staatsarchiv Düsseldorf ins Reichsinnere veranlasst, insbesondere in ein Salzbergwerk bei Hildesheim, den Schacht Grasleben der Gewerkschaft Braunschweig-Lüneburg bei Helmstedt und nach Friedrichshall bei Kochendorf am Neckar. Die Transporte erfolgen üblicherweise mit der Bahn, zuweilen mit Lkw. Wegen des Beschusses der Transportlinien sucht man nach Alternativen.

Nach Grasleben gehen auch zwei Schiffstransporte:

4.11.1944:  Erster Transport mit der MS Rhenus 39 startet in Düsseldorf. Das Archivgut wird nur notdürftig in Papier oder in Säcken verpackt. Aufgrund von Streckensperrungen (Beschuss, Eisgang) kommt der Transport nur schleppend voran. Erst am 27./28.2.1945 wird im Zielhafen Haldensleben mit dem Entladen der MS Rhenus 39 begonnen: Nach 3½ Monaten Transport auf dem Wasserweg!

27.12.1944: 2. Transport mit der MS Main 68 startet in Düsseldorf mit ca. 25 t Archivgut, ca. 20.000 Verzeichnungseinheiten, ca. 3 Mio. Blatt. Wegen Sperrung des vielerorts beschädigten Mittellandkanals wird das Schiff umgeleitet über den Dortmund-Ems und Küstenkanal, dann weseraufwärts an Bremen vorbei bis zum Mittellandkanal.

12.3.1945:  Eintreffen der MS Main 68 im Hafen Hannover-Linden

14./15.3.1945:  Bei Bombenangriffen auf Hannover wird die MS Main 68 von Brand- und Sprengbomben getroffen und sinkt vor der Halle der Spedition Rhenus, wo der für Hannover bestimmte Teil der Ladung entladen wird.

21.3.1945:  Während im Hafen Haldensleben schon die Vorbereitungen für den Transport der Ladung aus der MS Main 68 nach Grasleben getroffen werden, teilt die Firma Rhenus dem für Grasleben zuständigen Staatsarchiv Magdeburg mit, dass das Schiff gesunken und ausgebrannt, die Ladung vollständig zerstört sei.

23.3.1945:  Der Leiter des Staatsarchivs Magdeburg schreibt diese Nachricht dem Generaldirektor der Preußischen Archive in Berlin sowie dem Staatsarchiv Düsseldorf. (Mindestens) Der Brief nach Düsseldorf erreicht aber den Adressaten nicht (Wirren der Endkriegsphase und der unmittelbaren Nachkriegszeit).

30.7.1945:  Über einen Archivarskollegen in Kiel erfährt ein Mitarbeiter des Staatsarchivs Düsseldorf vom Beschuss und vom Sinken der MS Main 68: Etwa 4½ Monate nach dem Ereignis!

August 1945:  Dr. Otto Korn, 1943 wird vom Staatsarchiv Magdeburg mit der Aufgabe der Koordinierung von Archivgutauslagerungen nach Düsseldorf abkommandiert, übernimmt in Hannover die Leitung der Archivalienbergung. Er erstattet seit 30.8.1945 regelmäßig Bericht; u.a. detaillierte Schilderungen über den Zustand des Archivguts und die Umstände der Bergung.

September 1945:  Nachdem die (nach einem halben Jahr!) geborgenen Akten provisorisch getrocknet sind, beginnt am 13.9.1945 der Abtransport per Bahn von Hannover nach Düsseldorf. Der sechste und letzte Transport verlässt Hannover Richtung Düsseldorf am 21.9.1945.

1946-1975:  Das geborgene Archivgut wird zunächst auf dem Speicher eines vom Staatsarchiv Düsseldorf genutzten Magazingebäudes gelagert. Verfahren für die Mengenbehandlung stark geschädigten Archivguts fehlen ebenso wie Personal- und Sachmittel für deren systematische Restaurierung. „Gut erhaltene“ Stücke werden spätestens seit 1947 den Archivbeständen wieder zugeordnet. Man beginnt mit der Restaurierung von Einzelstücken. Der Umfang restaurierter Kahnakten in der Werkstatt des Archivs bleibt in den folgenden Jahrzehnten bescheiden. 

Seit Mitte der 1960er Jahre: weist man seitens des Hauptstaatsarchivs regelmäßig und nachdrücklich in Jahresberichten darauf hin, dass angesichts fortschreitender Schäden an den Kahnakten dringender Handlungsbedarf bestehe, v.a. die Einstellung von Personal für eine Mengenbehandlung.

Seit 1975:  Maßgeblich angestoßen bei einem Besuch des Kultusministers anlässlich der Übergabe des Neubaus für das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf am 3. Dezember 1975 stehen seit 1976 im Landeshaushalt gesonderte Mittel für die Restaurierung kriegsgeschädigten Archivguts zur Verfügung. Mehr als 30 Jahre nach dem Schadensereignis sind damit Voraussetzungen für eine Mengenbehandlung geschaffen. Die Arbeiten werden heute im Technischen Zentrum des Landesarchivs durchgeführt.

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Historische Bedeutung

Das Unglück markiert bis heute einen schwerwiegenden Verlust für die Geschichte des Niederrheins; zu den schmerzhaften Lücken in der historischen Überlieferung zählen u. a. zentrale  Dokumente zur Geschichte niederrheinischer Klöster und Stifte, die Korrespondenz des Hauses Kleve mit den Niederlanden und England, Akten aus Landratsämtern und aus den Regierungspräsidien in Aachen, Düsseldorf, Kleve und Köln, des Weiteren Gerichts-, Polizei- und andere wichtige Verwaltungsakten.

Restaurierung und Digitalisierung

Nachdem die Archivalien fast ein halbes Jahr im Wasser gelegen hatten, wiesen sie Schädigungen durch Explosionen, Feuer und Wasser auf und wurde als „übel riechende, zusammen gebackene, verschlammte Masse“ beschrieben. Da in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Ressourcen fehlten, konnten die geborgenen Archivalien nur unzureichend behandelt...

Nachdem die Archivalien fast ein halbes Jahr im Wasser gelegen hatten, wiesen sie Schädigungen durch Explosionen, Feuer und Wasser auf und wurde als „übel riechende, zusammen gebackene, verschlammte Masse“ beschrieben. Da in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Ressourcen fehlten, konnten die geborgenen Archivalien nur unzureichend behandelt werden; die wertvollen Dokumente begannen schließlich zu schimmeln. Seit 1975 wurden Sondermittel für die Kahnakten vom Land NRW bereitgestellt, doch konnten angesichts der großen finanziellen und zeitlichen Aufwände, die mit der systematischen Restaurierung verbunden sind, die Arbeiten noch nicht abgeschlossen werden.

Das Landesarchiv NRW unternimmt alles, um dieses einzigartige Kulturerbe zu retten und wieder nutzbar zu machen. Bis heute gehört die Restaurierung der Kahnakten zu den zentralen Aufgaben des Technischen Zentrums. Um zumindest die in den Akten enthaltenen Informationen wieder zugänglich zu machen und langfristig erhalten zu können, kommt jetzt modernste Technik zum Einsatz. Sie sollen mithilfe der UV-Fotografie multispektral wieder sicht- und lesbar gemacht werden. Dazu müssen alle einzelnen Dokumente für die Digitalisierung vorbereitet werden. Im Anschluss werden sie durch den Einsatz der Multispektraldigitalisierung wieder lesbar gemacht.

Das in diesem Rahmen durchgeführte Projekt „Gehobene Schätze“ – Konservatorisch-restauratorische Vorbereitungen von „Kahnakten“ des Landesarchivs NRW für die Multispektraldigitalisierung wurde gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Kulturstiftung der Länder.

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Multispektraldigitalisierung

Das Besondere an der Multispektraldigitalisierung – im Unterschied zu herkömmlichen digitalen Aufnahmeverfahren – ist die Verwendung von zusätzlichen Lichtspektren. Während eine gewöhnliche digitale Aufnahme bisher nur im Bereich des sichtbaren Lichts erstellt wird, kommen jetzt auch weitere Lichtspektren wie z.B. ultraviolettes Licht (also UV-Licht) oder Infrarotlicht zum Einsatz. Mit diesem Vorgehen wird versucht, die noch vorhandenen Reste einer beschädigten und normalerweise nicht mehr erkennbaren Information (z.B. ein durch Wasser ausgewaschener oder durch Feuer verkohlter Text) digital zu erfassen und virtuell wieder erkennbar zu machen...

Das Besondere an der Multispektraldigitalisierung – im Unterschied zu herkömmlichen digitalen Aufnahmeverfahren – ist die Verwendung von zusätzlichen Lichtspektren. Während eine gewöhnliche digitale Aufnahme bisher nur im Bereich des sichtbaren Lichts erstellt wird, kommen jetzt auch weitere Lichtspektren wie z.B. ultraviolettes Licht (also UV-Licht) oder Infrarotlicht zum Einsatz. Mit diesem Vorgehen wird versucht, die noch vorhandenen Reste einer beschädigten und normalerweise nicht mehr erkennbaren Information (z.B. ein durch Wasser ausgewaschener oder durch Feuer verkohlter Text) digital zu erfassen und virtuell wieder erkennbar zu machen. Diese neue Digitalisierungstechnik eignet sich grundsätzlich für alle geschädigten Archivalien, vorausgesetzt, es sind noch ausreichend starke Spuren der geschädigten Information auf der Trägersubstanz – beispielsweise Papier oder Pergament – vorhanden.

Die Multispektraldigitalisierung ist besonders im Hinblick auf die stark beschädigten Kahnakten von großer Bedeutung. Dank ihr können Schriften wieder sichtbar gemacht werden, die sonst vielleicht dauerhaft verloren geblieben wären.

Dr. Benjamin Kram, Leiter des Technischen Zentrums in Münster-Coerde, und Kristian Peters stellen die Ergebnisse eines Pilotprojekts im Landesarchiv NRW anhand von Beispielen der „Kahnakten“ in der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (ZfBB) vor. Wer sich für diese äußerst erfolgsversprechende Technologie interessiert, kann den Aufsatz in der ZfBB, Jahrgang 68 (2021), Heft 4 nachlesen.

Benjamin Kram, Kristian Peters, Christian Wortmann u.a., Neue Digitalisierungstechnologien im Landesarchiv NRW: Die Multispektraldigitalisierung als neues Serviceangebot. In: Archivar 75 (2022) S. 71-79.

Benjamin Kram, Kristian Peters, Die digitale Bergung kriegsbeschädigter Archivalien des Landesarchivs NRW zur Reformationsgeschichte der Stadt Aachen. Restaurierung und Multispektraldigitalisierung der Archivalien LAV NRW Abteilung Rheinland RW 1001 Reichsstadt Aachen, Akten Nr. 55a bis 77b. In: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 69 (2023), S. 223-251

 

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Eine Kahnakte in 3D

Schauen Sie sich eine verblockte Kahnakte von allen Seiten an Ihrem PC an.

Die Identifizierung

Die Schäden, die die Bombenexplosion, der Brand und das Wasser an den Akten hinterlassen haben, machen die Identifizierung nicht leicht. Neben der schlechten Lesbarkeit, die wir aufwändig technologisch lösen können, stellt die durcheinander geratene Zuordnung ein weiteres Problem dar. Bei der Explosion wurden die Blätter durcheinander geschossen, unter Wasser lagen sie kreuz und quer verteilt und bei der Bergung und Restaurierung kam es vor allem auf die Erhaltung des Bestands an und nicht auf die korrekte Zuordnung. Diese versuchen wir jetzt aufzuarbeiten.

Dabei tauchen verschollene Signaturen wieder auf, sodass wir Findbücher vervollständigen können. Blätter, die in der falschen Akte untergebracht waren, werden wieder in die richtige Akte einsortiert. Die Archivalien kehren an den Ort zurück, wo sie herkommen. Über die Ergebnisse halten wir hier auf dem Laufenden.

Markgräfin Jakobe von Baden

Als der junge Herzog Johann Wilhelm, Erbe des größten und konfessionell umstrittenen Territorienkomplexes in Nordwestdeutschland namens Jülich-Kleve-Berg im Juni 1585 in Düsseldorf die Markgräfin Jakobe von Baden ehelichte, war die Hoffnung groß, durch eine reiche Nachkommenschaft die regierende Dynastie vor dem Aussterben zu bewahren...

Als der junge Herzog Johann Wilhelm, Erbe des größten und konfessionell umstrittenen Territorienkomplexes in Nordwestdeutschland namens Jülich-Kleve-Berg im Juni 1585 in Düsseldorf die Markgräfin Jakobe von Baden ehelichte, war die Hoffnung groß, durch eine reiche Nachkommenschaft die regierende Dynastie vor dem Aussterben zu bewahren. Jacobe konnte ihrem Gatten jedoch nicht zum gewünschten Erben verhelfen – die Ehe blieb kinderlos; anstelle ihres Mannes, der nach und nach schwachsinnig wurde, versuchte sie, die Regierungsgeschäfte zu führen, legte sich einen Liebhaber zu und machte sich Feinde. Im politischen Intrigenspiel um die Macht kam sie schließlich 1597 unter mysteriösen, bis heute ungeklärten Umständen während ihrer Inhaftierung im Düsseldorfer Schloss ums Leben; vermutlich wurde sie erwürgt.

Das Landesarchiv NRW verwahrt einige Archivalien zu diesen Ereignissen. Allerdings stand eine wichtige Archivalie seit 1945 nicht mehr zur Verfügung: es handelt sich dabei um eine umfangreiche Sammlung zeitgenössischer Abschriften von Akten über Jacobe von Baden und Johann Wilhelm. Diese Abschriften wurden - wohl mit einer bestimmten politischen Intention – durch die Herren von Nesselrode um 1600 angelegt und gehören damit zum Archiv der Grafen Nesselrode-Ehreshoven. Dieses Archiv kam erst 1932 an das damalige Staatsarchiv Düsseldorf und erlitt während des Zweiten Weltkrieges massive kriegsbedingte Verluste. Bis heute fehlen von insgesamt 788 Einheiten noch 568 Archivalien.

Die erst kürzlich der Signatur AA 0606a/Nesselrode-Ehreshoven, Nr. 336 zugeordnete „Kahnakte“ wird derzeit im Technischen Zentrum des Landesarchivs NRW restauriert und anschließend digitalisiert. Dabei werden u.a. auch multispektrale Aufnahmen angefertigt. Damit wird die Akte demnächst wieder für die digitale Nutzung zur Verfügung stehen.

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Wolfgang & Magdalena

Dieser Aktendeckel gehört zu der Benachrichtigung an die kleve-märkischen Landstände zur Vermählung des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg mit Herzogin Magdalena von Bayern aus dem Jahr 1613. Wolfgang Wilhelm war (über seine Mutter) der Neffe des letzten Herzogs Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg, dessen Ehen kinderlos geblieben war...

Dieser Aktendeckel gehört zu der Benachrichtigung an die kleve-märkischen Landstände zur Vermählung des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg mit Herzogin Magdalena von Bayern aus dem Jahr 1613.

Wolfgang Wilhelm war (über seine Mutter) der Neffe des letzten Herzogs Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg, dessen Ehen kinderlos geblieben waren (siehe dazu auch unser YouTube-Video zu den Kahnakten). Da der Herzog aber mehrere Schwestern mit Nachkommen hatte und auch das Haus Sachsen Ansprüche auf das Tripelherzogtum erhob, kam es zum Erbfolgestreit. Wolfgang Wilhelms Hochzeit mit einer Tochter des Herzogs Maximilian V. von Bayern sollte ihm dessen Unterstützung sichern. Durch die Wirrungen des Dreißigjährigen Kriegs konnte der Streit erst in der nächsten Generation, im Jahr 1666, beigelegt werden. Philipp Wilhelm, der Sohn von Wolfgang Wilhelm und Magdalena, erhielt Jülich und Berg. Kleve und die Grafschaft Mark fielen an das Haus Brandenburg.

Der Erbfolgestreit schlug sich auch auf die archivische Arbeit nieder: Gehört die Akte nun zum Bestand Kleve-Mark oder zu Jülich-Kleve-Berg? Die Änderungen sind auf dem Aktendeckel festgehalten.

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„Mannszucht und gute Ordnung“

Im „Disciplinspatent für die Kaiserliche und des Heiligen Römischen Reiches Reichsexecutionsarmee“ von 1757 erläutert der Herzog Joseph Friedrich zu Sachsen, wie er sich die Herstellung von „Mannszucht und gute(r) Ordnung“ innerhalb der Reichsexekutionsarmee vorstellt. Auf ihr beruhten seiner Ansicht nach „das Heil und die Wohlfahrt eines Kriegsheeres“ denn „diese allein den Sieg erfechte“. In 37 Einzelpunkten beschreibt er, wie die nötige Disziplin unter den Soldaten und den Offizieren herzustellen sei.  

Die Reichsexekution war ein Mittel zur Durchsetzung von Pflichten innerhalb eines Staatenbundes. Kamen die Mitgliedsstaaten des Heiliges Römischen Reiches ihren Pflichten nicht nach, erfolgten entsprechende, durchaus auch militärische, Maßnahmen.

Ich war’s nicht!

Am Siebenjährigen Krieg (1756­–1763) waren alle europäischen Großmächte dieser Zeit beteiligt: Preußen und Großbritannien bzw. Kurhannover standen Österreich, Frankreich, Russland und dem Heiligen Römischen Reich gegenüber. Der Krieg wurde rund um den Globus zu Wasser wie auch an Land ausgefochten. Für GB und Frankreich ging es vor allem um die kol...

Am Siebenjährigen Krieg (1756­–1763) waren alle europäischen Großmächte dieser Zeit beteiligt: Preußen und Großbritannien bzw. Kurhannover standen Österreich, Frankreich, Russland und dem Heiligen Römischen Reich gegenüber. Der Krieg wurde rund um den Globus zu Wasser wie auch an Land ausgefochten. Für GB und Frankreich ging es vor allem um die koloniale Vorherrschaft in Indien und Nordamerika, für Preußen, Österreich und Russland vor allem um ihre Gebietsansprüche in Europa.

Die hier vorliegende identifizierte Kahnakte enthält Stellungnahmen europäischer Monarch*innen, die sie an den Reichstag zu Regensburg richteten. Und wie es bei Streitigkeiten nun einmal ist, sind auch am Siebenjährigen Krieg immer die anderen schuld.

Preußens König Friedrich II (Abb. 1–3) lässt in seiner „Declaration“ erklären, er habe während seiner „ganzen Regierung, zum besonderen Augenmerk gehabt, sich die Freundschaft des Rußisch-Kaiserlichen Hofes zu versichern“. Auch habe er „das Vergnügen gehabt, mit der ist regierenden Kaiserin viele nach einander folgende Jahre in dem engsten guten Vernehmen zu leben“. Diese Freundschaft habe die „übel gesinnte“ Zarin Elisabeth durch ihre „heimliche Machination“ (Intrigen) zerstört. Auch sei Friedrich „zu denen, gegen den Wienerischen sowohl, als Sächsischen Hof, genommenen Maaßgegeln, durch das eigene Betragen dieser Höfe, genötiget worden“. Der König bringt sich selbst in eine Position, in der er sein Reich lediglich verteidigt habe.

In der Stellungnahme der Zarin Elisabeth von Russland (Abb. 4+5) klafft leider ein großes Loch auf der linken Seite. Dennoch ist auch hier von einem „Vorwand“ zu lesen, der dem König von Preußen „hinlänglich Recht“ gibt „Staaten mit Krieg zu überziehen, die Erblande Sr. Majestät des Königs von Pohlen mit einer zahlreichen Armee zu überschwemmen […] sich des Besitzes derselben zu ermächtigen“.  

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Für so ein Bisschen Wolle?

1789 wurden Andreas Barchon und Kaspar Lintz vom Schöffengericht Burtscheid zu Gefängnisstrafen verurteilt. Sie hatten an ihrem Arbeitsplatz, einer Tuchfabrik in Burtscheid (heutiger Stadtteil von Aachen), Wolle gestohlen. Und für so ein Bisschen Wolle wurden sie direkt ins Gefängnis gesteckt? Manchem mag das Urteil des Schöffengerichts unverhältni...

1789 wurden Andreas Barchon und Kaspar Lintz vom Schöffengericht Burtscheid zu Gefängnisstrafen verurteilt. Sie hatten an ihrem Arbeitsplatz, einer Tuchfabrik in Burtscheid (heutiger Stadtteil von Aachen), Wolle gestohlen. Und für so ein Bisschen Wolle wurden sie direkt ins Gefängnis gesteckt? Manchem mag das Urteil des Schöffengerichts unverhältnismäßig hart vorkommen (die zu verbüßende Haftzeit ist leider nicht bekannt). So auch den Ehefrauen der beiden Delinquenten: Sie reichten darüber Beschwerde ein und zwar wahrscheinlich beim Reichskammergericht, jedenfalls aber bei der nächsthöheren Instanz. Dieses bat nun beim Schöffengericht Burtscheid um eine Stellungnahme zum Urteil, welche innerhalb von sechs Wochen einzureichen sei.

Diese liefern nun „Statthalter, Meyer und Scheffen des Gerichts zu Burscheid“. Seitenweise schreibt der fleißige Sekretär Frantzen in dieser Kahnakte nieder, warum es wichtig ist, an der Gefängnisstrafe festzuhalten. Ein bisschen Wolle hier und da wird nämlich schnell zu sehr viel Wolle und somit zu einem ernsthaften wirtschaftlichen Problem. Zunächst erläutert Frantzen ausführlich die wirtschaftliche Lage der Region:

„… daß das ohnweit der Reichs-Stadt Aachen gelegene Burtscheid, ein nach der Größe überaus volckreicher Ort sey, welche Volcks-Menge, nebst der Nadelfabrik, hauptsächlich von dem Tuchhandel und Tuchfabrike gezeuget wird, als wo von auch der meiste Theil Einwohner, wo nicht gar der ganze Ort den Bestand und die Erhaltung herleitet. Für Burtscheid ist daher just diese Fabrike heilig und unverletzlich, und wenn je derselben Kränk- oder Stockung wiederfährt, so ergießt das harte Elend sich über tausende die sonst keine Auskunft vor sich haben noch hoffen können.“

Mit anderen Worten: Die Region und ihre Bewohner*innen hängen wirtschaftlich völlig von der bestohlenen Tuchfabrik ab. Seit fünf bis sechs Jahren spüre man nun im Betrieb, dass mehr Wolle in die Produktion eingespeist werde, als im Endprodukt tatsächlich ankomme. Die Folgen beschreibt Frantzen als gravierend:

„… wenn von jedem hundert Pf(und) Wolle nur etwa fünf oder sechs Pfund an unfrommen Händen kleben bleiben, so verliert der Handelsmann an jedem Tuch über eine Karolin*: der Gewinnst ist als denn dahin …“. 

Es folgt ein ausführlicher Bericht über die betrügerischen Machenschaften der Angestellten in Tuchfabriken im Zusammenhang mit „Woll-dieberey“. Diese habe mittlerweile gewerbsmäßige Auswüchse angenommen und sei dazu in der Lage „Burtscheids fast einzige Auskunft und Nahrungsquelle zu zerstören“.

Das Schöffengericht Burtscheid wollte also mit seinem harten Urteil gegen die beiden Verurteilten ein Exempel statuieren und vor allem für Abschreckung bei den vielen anderen Woll-Dieben sorgen. Wie der Bericht aufgenommen wurde und ob das Urteil Bestand hatte, geht aus der Kahnakte leider nicht hervor.

 

*Kurkölnische Münzeinheit: 1 Karolin = 3 Goldgulden = 11 Gulden

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Das wird teuer

Um 1700 wird eine Gyrbrücke zu Mülheim am Rhein eingerichtet. Eine Gierbrücke ist eine Schiffsbrücke, bei der das Schiff durch ein Seil am Flussboden verankert ist. Durch die Strömung und Neigung der sogenannten Gierachse (vertikale Achse) des Schiffs kann es ohne Antrieb von einem zum anderen Ufer übersetzen. Für die Überfahrt mit der Brücke musste ein Fährgeld gezahlt werden: Ein Pferd kostet 3 Stuber, eine Person zu Fuß ½ Stuber, genauso viel kostet auch die Überfahrt für ein Schaf und ein Kalb...

Um 1700 wird eine Gyrbrücke zu Mülheim am Rhein eingerichtet. Eine Gierbrücke ist eine Schiffsbrücke, bei der das Schiff durch ein Seil am Flussboden verankert ist. Durch die Strömung und Neigung der sogenannten Gierachse (vertikale Achse) des Schiffs kann es ohne Antrieb von einem zum anderen Ufer übersetzen.

Für die Überfahrt mit der Brücke musste ein Fährgeld gezahlt werden: Ein Pferd kostet 3 Stuber, eine Person zu Fuß ½ Stuber, genauso viel kostet auch die Überfahrt für ein Schaf und ein Kalb.

Seit 1794 besetzten die Franzosen die linke Rheinseite. Das Gebiet wurden 1798 in vier Departements unterteilt und Verwaltungsbehörden und Gerichte nach Französischem Muster eingerichtet. Bevor die Brücke weiter betrieben werden konnte, musste man nun die Genehmigung der französischen Regierung einholen. 

Der Präfekt des Roerdepartements schreibt am 30 September 1801 an die Regierung in Düsseldorf:

 „Sehr geehrte Herrren!
Ich habe Ihren Brief vom 25.September 1801 erhalten, in dem Sie mich bitten, mich nicht der Wiedererrichtung einer Schiffsbrücke auf dem Rhein gegenüber Mülheim entgegen zustellen(...)“

Bis die Schiffsbrücke wiedereingerichtet werden konnte, dauerte es aber einige Zeit, wie die Schreiben von 1804 und 1805 zeigen:

3. November 1804

„Der Hofk(ammer)rath Bertoldi zeiget an, daß die Authorisation des franz(ösisch)en Kaisers zur Wiederanlegung der Gyrbrücke erfolgt sey, und wenn darüber ferner Hindernisse entstehen sollten, so ist der Subpräsident zu Cöln beauftragt, diese aus dem Wege zu räumen.“

22.März 1805

„Wir haben nach den über die die Wiederanlegung der Schiffbrücke zu Mülheim am Rhein mit dem Pachter derselben, Hofkammer Rathe Bertoldi, bei dem gemeinsamen Zusammentritte getroffene Verabredung die dabey vorgeschlagene Erhöhung des Fährgeldes so wohl, als die übrigen im Protokolle vom 1n dieses enthaltenen Bedingungen genehmigt (…)“

6. April 1805

„Ich setze Sie darüber in Kenntnis, daß, nach den Entscheidungen des Generaldirektors der Zollverwaltung und der Brücken und Landstraßen, die Errichtung einer Zollstation gegenüber von Mülheim der Inbetriebnahme der Schiffsbrücke dieser Stadt vorangehen muß (…)“

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