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Ein Ort und Hort der Geschichte mit Geschichte

Schon immer wird es im Kloster und nachmals freiweltlichen Damenstift Keppel ein Hausarchiv gegeben haben. Eine Gründungsurkunde der Stiftung, vermutlich für die Zeit um 1200, fehlt allerdings. Auch das Alter der für Keppel namengebenden „Capella“ als bereits bestehende Eigenkirche der Ritter vom Hain ist nicht datiert. Sehr wahrscheinlich existierte sie schon im 12. Jahrhundert.

 
Mit Sicherheit haben sich im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Schriftstücke angesammelt. Was die Anfänge betrifft, so wissen wir über deren Verzeichnung, Zugänglichkeit und Sicherung kaum etwas. Ihre Aufbewahrung war gewiss kein Selbstzweck und auch noch nicht mit jenem langen Atem bedacht, von dem die künftige Geschichtsforschung lebt. Urkunden dienten vornehmlich aktuellen Zwecken. Sie belegten Rechtsansprüche und wurden als Vorlagen für neue Vereinbarungen verwendet. Manches mag bei Verhandlungen anderen Orts liegen geblieben oder absichtlich in andere Hände gelangt sein. Gelegentlich, vornehmlich in Notzeiten, wurden die historischen Briefschaften auch schon einmal als Ganzes ausgelagert, wobei das eine oder andere Schriftstück abhanden gekommen sein mag. So ist bekannt, dass 1626 im Zusammenhang mit der Ausweisung der reformierten Stiftsdamen, die damals auf Geheiß von Johann VIII. Graf von Nassau-Siegen den in Keppel einrückenden Jesuiten weichen mussten, zuvor eine Kiste mit Urkunden und Register beim Schultheiß in Ferndorf deponiert worden war. „Unter dem Einsatz von 80 (!) Schützen“ ließen sich die Jesuiten aber die in der Kiste vorhandenen Briefschaften wieder herausgeben. Hierbei mögen einige wichtige Dokumente vorab abhanden gekommen sein, vielleicht auch jene, die über die anfängliche Rechtsnatur der Stiftung hätten Auskunft geben können. Wollte man diesbezüglich Ansprüche ableiten, so brauchte man es schriftlich, am besten mit Brief und Siegel.
 
Erstmals wurden im 18. Jahrhundert von Philipp Ludolf Wilhelm Ludolf von der Hees die zu seiner Zeit noch vorhandenen Urkunden im Stiftsarchiv gesichtet, exzerpiert und in einigen Fällen im Wortlaut abgeschrieben. Sie sind in der handschriftlich überlieferten „Brüsseler Chronik“ (1720-25) ausführlich zitiert. Er selbst trat mit dem Anspruch an, ein „der edlen Wahrheit zugetaner deutscher Historiophilus“ zu sein. Doch ist seine Absicht nicht zu verkennen, die Geschichte Keppels im Sinne der stiftsinteressierten Siegerländer Ritterschaft zu schreiben. Er selbst gehörte dem Ritterschaftsrat an. Die Abfassung einer Chronik bot ihm Gelegenheit, sich gegenüber den landesherrlichen Ansprüchen des Hauses Nassau deutlich abzusetzen.
 
Nach der Säkularisation des Stiftes 1812 – seit 1815 hatte unterdessen auch das Fürstentum Oranien-Nassau zu existieren aufgehört – wurden 1835 die historisch bedeutsamen Akten an das wenige Jahre zuvor gegründete „Königlich Preußische Provinzialarchiv“ in Münster abgegeben. 1867 wurde das Haus in „Königlich Preußisches Staatsarchiv“ und nach dem letzten Weltkrieg in „Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv“ umbenannt. Seit 2008 heißt das ehemalige Staatsarchiv Münster „Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen“.
 
Aber Keppel musste nicht nur Schriftgut abgeben. So sind aus dem ehemaligen Nassauischen Archiv in Dillenburg verwahrte Akten auch zurückgegeben worden. 1763 hatte man dort eigens ein neues Archivgebäude errichtet. Vor der Besetzung des Dillenburger Schlosses von Hannoveranern und durch die anschließende Brandlegung und Schleifung durch französische Truppen 1760 musste man das Archivgut, das man bis dahin in den Schlossgewölben sicher wähnte, zwischenzeitlich nach Beilstein auslagern. Für das neue Archivgebäude am ehemaligen „Paradeplatz" verwendete man nun die Steine des zerstörten Schlosses. Eine Anekdote aus der Zeit, als dieses Gebäude noch als Archiv diente, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Bei einer Kontrolle im Jahre 1785 wurde entdeckt, dass ein Archiv-Kanzlist, der als Alkoholiker bekannt war, Originalakten des Bestandes unter seinem Brennholz gestapelt hatte. Wie viel von dem wertvollen „Brennmaterial" schon durch den Schornstein in Rauch aufgegangen war, konnte der damalige Archiv-Direktor von Rauschard natürlich nicht mehr feststellen. Das nur zum Thema „Aktenschwund“, bzw. ungeregelte Kassation.
 
Doch einige Akten, die zuvor u. a. als Grundlage für die historischen Recherchen zur „Relatio 68“ gedient hatten, sind erhalten geblieben. In jener Denkschrift, 1773/1774 von Regierungsrat Jacob Friedrich Eberhard verfasst, erstattete die damalige Regierung in Dillenburg Wilhelm V., Prinz von Oranien und Fürst zu Nassau „wegen der künftigen Verwendung des Stiftes Keppel unterthänigsten Bericht“. Nunmehr befinden sich eben diese Unterlagen im Stift, wo sie heute als „reponierte Akten“ archiviert werden. In napoleonischer Zeit wurde das Dillenburger Archivgebäude als Justizpalast umgebaut. Den Rest des vormaligen Archivbestands, v. a. die älteren Urkunden, erhielt das Hessische Staatsarchiv in Wiesbaden.
 
Die im Stiftsarchiv befindlichen und dort immer schon verbliebenen Rechnungen beginnen frühestens – allerdings sehr lückenhaft – im 17. Jahrhundert. Ansonsten findet man hier eine Vielzahl von Archivtiteln belegt, die in einer Stiftsverwaltung üblicherweise anfallen. Akten zu Geschichtlichem, zur Säkularisation und Aufhebung des Stifts, zur Fremdherrschaft, zu den Rechtsverhältnissen, zu den Stiftsbeamten und dem Personal, den gezahlten Steuern, Versicherungen, zu Inventarien, Bausachen/Reparaturen, Mühlen, Wehren, Brücken, Wege (Verlegungen der Eisenbahn), darüber hinaus Lagepläne, Karten und Gebäudegrundrisse, Waldungen, Holzverkäufe, Hauberge, Wiesen, Bergwerke, Hütten, Hämmer. Dann Angaben zu Stiftsliegenschaften und Güter, weiterhin Flächenverzeichnisse, Lagerbücher, Konventionen, Heberegister, Verlehnung und Verpachtung, Gerechtsame, Ablösung und Verwandlungs-Rezesse, An-, Verkauf und Tausch von Grundstücken, Kapitalien. Schließlich Verwaltungspläne, Abschlüsse, Rechnungsabhörungen, außerordentliche Kassenrevisionen, Sicherungen, Beitreibungen und Verbesserungen. Im Stiftsarchiv befindet sich das „Eh-, Tauff- und Todten-Buch der Reformierten Gemeinde auff Hillenhütten und Hoff Buchen, aufgerichtet durch Joahnneß Winter, dieser Zeit Prediger im Hochadlichen Stifft Keppel, Anno 1709“, sonstige Akten über kirchliche, Verhältnisse, den reformierten Kirchen- und Pfarrfonds, den katholischen Kirchen-, Pfarr- und Anniversarienfonds, Gesetzsammlungen, Verzeichnisse von Stiftsdamen, deren Präbenden, Verzeichnis der Schul- und Erziehungsanstalt, Journale der Stiftsrentei, Prozesse, fremde Angelegenheiten, Akten des Vorsitzenden des Vorstandes der Stift Keppelschen Erziehungs- u. Schulanstalt (Reposition 1923), Hebe- und Schülerlisten, Personalakten aus Schule und Lehrerinnenseminar, Lehramts- und Abiturprüfungen, Verwaltungsakten aus der ersten Hälfte und Mitte des 20. Jh. (Reposition 1961) Vorstand und Verwaltung betreffend, Personal, Forst- und Landwirtschaft, Gärtnerei und Fischerei, Bau und Grund, kirchliche Angelegenheiten späterer Zeit, Finanzen und sonstige Aufwendungen.
 
Der frühere Verwalter des Archivs, Stiftsrentmeister Philipp Eduard Manger, 1816-1887, zugleich Kreissekretär in Siegen, residierte nicht an Ort und Stelle in Keppel. Da er die Verwaltungsgeschäfte im fernen Siegen abwickelte, sind zahlreiche Akten, dabei auch damals schon nicht mehr aktuelle, historische Vorgänge aus dem Stiftsarchiv dorthin gelangt. Auch dürfte das Archivgut in Siegen sicherer verwahrt gewesen sein, als es damals im Stift möglich war, das in nachsäkularisierter Zeit ausschließlich von fremden Pächtern bewohnt wurde. Nach seinem Tode haben dann die Archivalien auf Umwegen und schließlich auch nur zum Teil wieder ihren Herkunftsort erreicht. Ein Teil ist zeitweilig in Privathand seiner Erben verblieben, ein anderer Teil, so wurde zunächst vermutet, sei in das Siegener Stadtarchiv gelangt. Der als Herausgeber der Siegener Urkundenbücher bekannte Kgl. Archivar Dr. F. Philippi am Staatsarchiv in Münster hatte 1905 bei Gelegenheit eines Besuchs im Siegener Schloss dem Stadtarchiv vermeintlich zugehörende Aktenbestände als Reste des Keppelschen Archivs erkannt. „Bei meiner neulichen Anwesenheit in Siegen“, so schrieb er damals, „wurde ich auf einen Aktenschrank aufmerksam gemacht, welcher in einem vom Logendiener Heimele im oberen Schlosse benutzten Raume hinterliegt. Er wurde als ein Teil des städtischen Archivs angesehen, ergab sich aber als der Rest der Registratur des Regierungsrats Manger, welcher früher die Verwaltung der Stift Keppelischen Einkünfte hatte und, soviel ich weiß, auch dort Domänenrentmeister war“. Philippi riet damals, eine Sonderung der überwiegend nicht mehr aktuellen Aktenvorgänge nach einem ihm vorzulegenden Verzeichnis vorzunehmen, so dass historisch bedeutsamere Archivalien dem Staatsarchiv zugeführt werden könnten. Der Landrat ersuchte daraufhin den Bürgermeister von Siegen, die Ablieferung der Akten vornehmen zu lassen. Als dieser angesichts zweier voller Aktengestelle, die eine Abfuhr durch ein Fuhrwerk nötig machten, die Bewilligung der hierdurch anfallenden Kosten beantragte, besann sich das Landratsamt auf den Amtmann und Stiftsrentmeister Gustav Fuß in Keppel, dem es, zumal stiftische Akten für den Kreis und die Stadt Siegen nicht von Interesse waren, anheim gestellt wurde, das Archivgut an den Ort der Herkunft zurückzuführen. Gustav Fuß (*1853) war von 1889 bis 1918 Amtmann beim damaligen Amt Hilchenbach, später Keppel, und im Nebenamt Stiftsrentmeister von 1896 bis 1919 und nochmals Interims-Stiftsrentmeister für das erste Quartal von 1920. Dieser nahm den im Siegener Schloss in 52 Gefachen gelagerten Bestand in Augenschein und besorgte den Abtransport. Im Einverständnis mit dem Regierungspräsidenten Gisevius und auf dessen Weisung wurden die Archivalien in einem Raum hinter der Orgel auf der Nonnenempore im Westbau der Stiftskirche gelagert. Sieben Jahre mussten offensichtlich erst vergehen, bis das Staatsarchiv in Münster reklamierte, dass die seinerzeit angeforderten Verzeichnisse bzw. archivwürdigen Akten immer noch nicht eingetroffen waren, und Philippi aus „dritter Hand“ - wie er 1912 in seinem Brief an den Landrat schrieb - erfahren hatte, dass die Akten nach Keppel gekommen waren. Zwischenzeitlich hatte Stiftsrentmeister Fuß einen Sachverständigen für die Katalogisierung der Archivalien bemüht. Dieser vermochte schließlich ein Viertel aus dem Gesamtbestand von 20.000 gebundenen und z. T. auch losen Blättern für Keppelsche Belange auszusortieren. Die für die Regierung interessanten Akten wurden schließlich abgeholt. Die Übergabe und nochmalige Sonderung sollte ausdrücklich unter Aufsicht des Amtssekretärs Heinrich Strack erfolgen. Dazu muss man wissen, dass zeitweilig ein Teil der Stiftsarchivalien in den Räumen der Amtsverwaltung Keppel lagerte. Die Verwaltungsgemeinschaft zwischen dem Amt Hilchenbach, später Amt Keppel, und dem Stift Keppel bestand von 1896 bis zur Auflösung 1939.
 
In den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich der emeritierte Prof. Dr. Wilhelm Hartnack, der vormals an der Universität Greifswald Geographie lehrte und nach seiner Flucht in der Heimat seiner Voreltern in Laasphe wohnte, des Stiftsarchivs angenommen. Wir verdanken ihm noch heute die sachgerechte systematische Einordnung des Schriftgutes in 280 Fächern. Seit er 1963 verstarb, blieb lange Zeit im Stiftsarchiv alles unverändert. Für die Verwaltung des Archivs ist derzeit Sabine Münker verantwortlich. Seit Februar 2009 hat Dr. Erwin Isenberg die Neuordnung, Auswertung, Ergänzung und Einordnung von noch unbearbeitetem Archivgut übernommen. U. a. hat Stift Keppel vor einigen Jahren auch den Aktenbestand des aufgelösten Stiftes Geseke (Vereinigung mit Keppel 1819) und des Walpurgis-Stifts in Soest aufgenommen. Auch das Schularchiv ist unterdessen grundlegend neu geordnet worden. Seit 2008 werden die schulrelevanten Akten des aufgelösten Jung-Stilling-Gymnasiums in Keppel gelagert. Ein Findverzeichnis des historischen Archivs (Signatur StAK) mit dem gesamten Aktenbestand bis 1950 ist nunmehr auch per Internet einsehbar.