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613. Bocholter Kirmes?

Warum die Bocholter Kirmes 44 Jahre älter ist als bisher angenommen!
Mittwoch, 11. Oktober 2023 - 14:09

Bislang heißt es auf allen Plakaten und Bekanntmachungen zur diesjährigen Bocholter Kirmes: "569 Jahre - Die Attraktion mit Tradition".

Warum dieser Slogan aber historisch inkorrekt ist, hat nun unser Archivmitarbeiter Wolfgang Tembrink herausgefunden und in der neuen Ausgabe "Unser Bocholt" veröffentlicht.

"Riesenrad und Autoscooter, Musik-Express und Geisterbahn – ein jeder kennt diese Begriffe und verbindet sie sogleich mit dem sich jährlich wiederholenden Großereignis inmitten der City: Die Rede ist von der Bocholter Herbstkirmes, die der Bevölkerung seit Jahr und Tag Abwechslung, Geselligkeit, Unterhaltung und Vergnügen bietet. Wie aber sahen diese lebhaft-temperamentvollen Festtage in früheren Zeiten aus, als die elektrische Energie kaum verbreitet und computergesteuerte Automaten und Maschinen gänzlich unbekannt waren?

Früher, irgendwo in der Vergangenheit, was für ein weit gefasster Begriff! Beim Jubiläum 800 Jahre Bocholt sprach man 2022 gar von der 568. Kirmes, die in der Stadt abgehalten wurde: „568 Jahre – Die Attraktion mit Tradition". Das würde bedeuten, dass dieses Ereignis 1455 zur Weihe von Chor, Hochaltar und Sakristei der noch nicht ganz vollendeten St.-Georg-Kirche ihren Anfang genommen hätte. Kann diese Aufrechnung bestehen bleiben? Was aber, wenn der Ursprung der Bocholter Kirmes noch weiter zurückliegt? In diesem Falle wäre eine Neuzählung sicher unumgänglich. [...]

In den städtischen Rechnungsbüchern des ausgehenden Mittelalters lassen sich mehrere Beweise finden, die eine Bocholter Kirmes vor dem Jahr 1455 belegen. Erster Beweis ist die Notiz im städtischen Rechnungsbuch des Jahres 1435. Darin heißt es bei den Eintragungen der Ausgaben u. a. „Item des mandage na unser kermysse halde reyner krechtynch to my ii olde brasd dye men den harnaschmeker gaf von enescheden dye he makede to der sagen […]“. 

Ein ähnliches Beispiel findet sich in der Stadtrechnung aus dem Jahre 1422. Darin wird ein Geschäftsfall niedergeschrieben, der zur Kirmeszeit eingetreten ist: „Item up unse kermysse …“. Übersetzt lautet diese Formulierung „sodann an unserer Kirmes“ oder auch „sodann während unserer Kirmes“. Der Begriff „kermysse“ besitzt hier eine Art Datumsfunktion ohne exakte Tagesangabe.

Es ist schon bemerkenswert, dass der Rechnungsführer von „unse kermysse“ spricht. Er verwendet hierfür ein Possessivpronomen und meint ausdrücklich unsere Kirmes, die Kirmes der Stadt Bocholt, die der Bürgerinnen und Bürger. Der Beweis für die frühe Existenz des Kirmesfestes aus dem Jahr 1422 ist jedoch nicht der einzige. Nimmt man die Stadtrechnungen zu Grunde – sie sind ab 1407 überliefert – so wird man ein paar Jahre vorher, nämlich 1411, erneut fündig (s. Abb.): „Item enen knechte van Coesfelde in der weken vor uns[e] kermysse …“. Auch dieser Fall verdeutlicht unmissverständlich die Datumsfunktion des Festes. Wären noch ältere Register vorhanden, so darf unterstellt werden, dass sich darin ebenfalls Kirmesnachweise auffinden ließen. Es kann überdies ausgeschlossen werden, dass das Kirchweihfest in alter Zeit einmal ausfiel oder dass man gar darauf verzichtete. Daher muss mit der Aufzählung dieser Feste in Bocholt frühestens 1411 begonnen werden – vor nunmehr 612 Jahren! Der Slogan für die Kirmes 2023 müsste demnach eigentlich lauten: „613 Jahre – Die Attraktion mit Tradition“.

[...]

Wolfgang Tembrink in "Unser Bocholt - Zeitschrift für Kultur und Heimatpflege", 74. Jahrgang Heft Nr. 3, S. 4-19. Hg. Verein für Heimatpflege Bocholt e. V. und des Stadtarchivs Bocholt.