9. November
Von der Synagoge zum Mahnmal - das Grundstück der ehem. Lemgoer Synagoge als Teil der lokalen Erinnerungskultur.
Das Synagogengrundstück 1939-1963
Adolf Sternheim (1871-1950) verkaufte als letzter Vorsitzender der Lemgoer Synagogengemeinschaft das Grundstück der am 09./10. November 1938 zerstörten Synagoge 1939 an die Stadt Lemgo. Mit dem Verkaufserlös sollten u.a. auch die vom NS-Regime erzwungene Emigration der Gemeindemitglieder, die Beschaffung von Medikamenten und Arztbesuchen finanziert werden.
Danach scheint das Grundstück von der Stadt bis zur Untersagung durch das Land NRW 1951 als Kinderspielplatz genutzt worden sein.
Nach seiner Rückkehr aus dem KZ nach Lemgo, pachtete Adolf Sternheim 1946 das Grundstück der früheren Synagoge von der Stadt.
Im Juli 1949 stellte die Wiedergutmachungsstelle des Kreises Lemgo im Auftrag von Herrn Sternheim einen erfolglosen Antrag auf Rückerstattung des Synagogengrundstücks an ihn.
Nach Sternheims Tod stellte die Jewish Trust Corporation for Germany (kurz: Jetco) 1952 als Rechtsnachfolgerin einen Rückerstattungsanspruch für das Synagogengrundstück.
Die Jetco war eine 1950 gegründete jüdische Treuhändergesellschaft, die sich um erbenloses jüdisches Vermögen kümmerte.
Nach einem Rechtsstreit der Jetco und der Stadt Lemgo ging das Grundstück am 05.07.1952 nach Beschluss des Wiedergutmachungsamtes das Landgerichts Detmold an die Jetco über.
Da das Grundstück sehr klein war, konnte es nicht bebaut werden.
Wohl auch aus diesem Grunde verkaufte die Jetco das ehemalige, nun unbebaute Grundstück im Juni 1955 an die Stadt Lemgo.
Die Idee der Stadt war es, das Grundstück als Kinderspielplatz, für garagenbauten oder einen Parkplatz zu nutzen. Die letzte Variante bestand zumindest bis Anfang der 1970er Jahre.
Die Gedenktafeln
Die erste Gedenktafel 10.11.1963
Anlässlich der 25jährigen Wiederkehr der Zerstörung jüdischer Synagogen in Deutschland 1983 beabsichtigten die evangelischen Gemeinden Lemgo und Brake, auf dem früheren Synagogengrundstück an der Neuen Straße eine schlichte Gedenktafel anzubringen. Diese Tafel sollte die Tatsache festhalten, dass hier eine Synagoge gestanden hat und ein Schuldbekenntnis beinhalten.
Gestaltet wurde die Gedenktafel von dem Kunstmaler und Kunsterzieher Emil Schulz-Sorau (1901-1989).
Der damalige Lemgoer Bürgermeister August Flohr (SPD), sowie sein Stellvertreter Wilhelm Wippermann (FDP) kamen als Privatpersonen zu der Einweihung der Gedenktafel.
Die zweite Gedenktafel 1974/75
1970 stellte der damalige Lemgoer Ratsherr Karl-Heinz Richter (CDU) einen Antrag auf Errichtung eines Mahnmals am Platz der ehemaligen Synagoge. Da dies allerdings die Pläne für ein Parkhaus an der Stelle der ehemaligen Synagoge hätte beeinträchtigen können, blieben Standort und Form zunächst offen.
1972 standen Standort und Form des Mahnmals endlich fest. Der Platz der ehemaligen Synagoge sollte, nach Zustimmung des Landesverbands der jüdischen Kultusgemeinde von Westfalen in Dortmund, zu einer Grünfläche mit dem Symbol des Davidssterns umgestaltet werden.
Der Vorschlag des Landesrabbiners für die zweite Inschriftentafel "Hier stand die Synagoge der jüdischen Gemeinde Lemgo, erbaut 1883, von Ruchlosen zerstört am 09. November 1938" wurde von der Stadt Lemgo unter Änderung des Wortes "Ruchlosen" zu "Nationalsozialisten" angenommen.
Diese Tafel befindet sich heute am Treppenaufgang zum Mahnmal.
Die Erinnerungskultur in Lemgo
Die Gedenkfeier 1948
Am 10. Oktober 1948 fand in der Aula des Lemgoer Gymnasiums eine Gedenkfeier für die verfolgten und ermordeten lippischen Juden statt. Die Idee dazu geht auf den Detmolder Verleger Max Staercke zurück, der mit dem damaligen Leiter des Lemgoer Gymnasiums, Dr. Ulrich Walter, und dem Holocaust-Überlebenden Adolf Sternheim zusammenarbeitete.
Staercke: "Die Gedenkfeier sollte ein Zusammenkommen sein, um der Toten zu gedenken, aber auch ein Aufruf zur Versöhnung derer, die konfessionell, kulturell, gesellschaftlich und wirtschaftlich auseinanderstreben".
Adolf Sternheim
Adolf Sternheim (geb. 14. September 1871 in Alperbeck bei Dortmund, gest. 19. April 1950 in Ilten) war ein jüdischer Verfolgter und Holocaust Überlebender. In Lemgo initiierte er die Gründung der Krieger-Sanitätskolonne (heutiges Rote Kreuz) und war auch sonst sehr engagiert in der Alten Hansestadt Lemgo. Adolf Sternheim war im Vorsitz der Israelitischen Synagogengemeinde Lemgos, ab 1933 der erste Vorsitzende.
Am 28. Juli 1942 wurde er, mit den restlichen Lemgoer Juden nach Theresienstadt deportiert.
Nach seiner Wiederkehr im Juni 1945 übernahm er den Vorsitz der jüdischen Kultusvereinigung für das Land Lippe und war bei der Neubegründung des DRK in Lemgo wieder im Vorstand.
Besondere Veranstaltungen, Gedenkfeiern oder Ereignisse haben dazu beigetragen, wie wir heute an das Vergangene erinnern.
Die Veranstaltungsreihe "Juden in Lemgo - Vergessene Bürger?" vom 23.02.-11.04.1986 gedachte der vertriebenen und ermordeten Juden Lemgos. Im selben Jahr erschien das Buch "Überleben - Der Leidensweg der jüdischen Familie Frenkel aus Lemgo" von der Lemgoer Holocaust-Überlebenden und späteren Ehrenbürgerin Karla Raveh, geb. Frenkel. Beides beeinflusste die Erinnerungskultur in Lemgo nachhaltig.
1988 wurde das Frenkelhaus als städtische Dokumentations- und Gedenkstätte in Karla Ravehs Elternhaus (Echternstraße 70) eingerichtet.
Wichtige Gedenkfeiern, die zur Entwicklung der jährlichen Gedenkstunde am 09. November geführt haben:
09.11.1978 (40 Jahre): Gedenkgottesdienst in den Kirchen und Kranzniederlage auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge.
09.11.1985: Inoffizielle Gedenkstunde zur Reichskristallnacht, mit anschließender Mahnwache, organisiert durch Anneliese Luncke aus Kirchheide.
09.11.1988: Erstmals Gedenkmarsch zum Synagogenmahnmal.
Im jährlichen Wechsel werden zudem zwei, nach Adolf Sternheim benannte, Preise in Lemgo für ehrenamtliches Engagement verliehen: die Adolf-Sternheim-Ehrennadel (seit 1998, für Personen) und die Adolf-Sternheim-Auszeichnung (seit 2010, für Gruppen und Organisationen).
Mahn- und Gedenkstätte Alte Synagoge
1985 rief die Stadt Lemgo zu einem Wettbewerb auf, bei dem die künstlerischen Gestaltung des Synagogenplatzes bestimmt werden sollte.
Insgesamt gab es 295 Wettbewerbsbeiträge. den ersten Platz belegte der Architekt Wolfang Michael Pax (I. Büro Pax und Hadamczik, Hannover).
Am 09. November 1987 wurde die Mahn- und Gedenkstätte Synagoge Neue Straße mit einer Gedenkveranstaltung offiziell übergeben. An dieser nahmen etwa 300 Leute teil.
Bürgermeister Reinhard Wilmbusse (1932-2014) sagte, dass sich das offizielle Lemgo dem grausigen Geschehen bisher nur mangelhaft erinnert habe.
Am 09.11.1999 wurde eine weitere Gedenktafel mit den Namen der jüdischen Opfer in Lemgo übergeben. Die Gedenktafel befindet sich an der Stirnseite der Mahn- und Gedenkstätte.