Ende des 19. Jahrhunderts wohnte die Mehrheit der Bevölkerung in den führenden Industrienationen in alten, maroden Häusern, bloßen Bretterbuden oder riesigen Mietskasernen ohne fließend Wasser, Strom oder Zentralheizung. Oft teilten sich mehrere Familien ein einziges Zimmer. In Deutschland engagierte sich der Staat lange Zeit nur sporadisch in der Wohnungspolitik.
Um sich selbst zu helfen, gründeten viele Berufsgruppen eigene Baugenossenschaften, außerdem errichteten einige sozial engagierte Unternehmer in der Nähe ihrer Fabriken Arbeitersiedlungen. Erst in der Weimarer Republik verbesserte sich die Situation, da jährlich dreimal so viele Wohnungen wie vor dem Weltkrieg entstanden und über die Hälfte davon direkt oder indirekt durch den Staat gefördert wurden.
Städtebauliches Ideal dieser Zeit war die vorstädtische Kleinsiedlung aus Einfamilienhäusern in verschiedenen Ausführungen: alleinstehend, als Doppelhaushälften oder in Reihe. Begrenzte Geldmittel und hoher Bedarf ließen es allerdings nicht zu, auf die Förderung von Mehrparteienhäusern gänzlich zu verzichten.
In der Zeit des Nationalsozialismus hatte die Kriegsrüstung absoluten Vorrang vor der Wohnungspolitik. Obwohl die Propaganda den „Volksgenossen“ Gegenteiliges vorgaukelte, fiel der Wohnstandard der NS-Neubauten in der Regel weit unter das vor 1933 erreichte Niveau zurück. Die hier abgebildeten so genannten „Volkswohnungen“ wurden zwischen 1935 und 1937 auf dem Hochfeld vor der Stadt Bocholt errichtet (Hochfeldstraße, Ecke Jahnstraße). Eine „kinderreiche“ Familie im Erdgeschoss und eine „kinderarme“ Familie in der Dachgeschosswohnung sollten sich die insgesamt 52,5 qm nebst integriertem Stall (21 qm) sowie großem Garten für die Selbstversorgung teilen. Weder Zentralheizung noch Spül-WC, beides vor 1933 schon üblich, waren in den Häusern zu finden.
LAV NRW W, W 051/Kartesammlung A, Nr. 1432