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Von Recht-, Anders- und Ungläubigen (Archivale des Monats der Abteilung Westfalen)

1235 Jahre nach der Taufe des Sachsen-Herzogs Widukind, 1215 Jahre nach der Weihe Liudgers zum ersten Bischof von Münster und 485 Jahre nach Ende des Täuferreiches von Münster gibt die Abteilung Westfalen des Landesarchivs NRW mit dem Archivale des Monats im Jahr 2020 Einblicke in die zahllosen Spuren, die religiöses und weltanschauliches Denken, Handeln und Leiden in Schrift und Bild hinterlassen haben. Die ausgewählten Dokumente werfen einerseits Schlaglichter darauf, was Menschen (vornehmlich) in Westfalen geglaubt und deshalb getan oder auch erduldet haben. Sie erinnern andererseits auch daran, dass es stets eine Frage der Perspektive bleibt, wer für wen als Rechtgläubiger, Häretiker oder auch als Ungläubiger gilt.

Januar: Taufe als Bekehrung und/oder Unterwerfung

Vor 1235 Jahren, vermutlich zum Weihnachtsfest 785, ließ sich der Sachsen-Herzog Widukind in Anwesenheit des fränkischen Königs Karl taufen, nachdem er zuvor dreizehn Jahre lang den sächsischen Widerstand gegen die Eingliederung Nordwestdeutschlands in das fränkische Reich angeführt hatte. Sichere Quellen zu seinem weiteren Lebenslauf sind nicht überliefert, Identifizierungsversuche mit einem Mönch Widukind auf der Reichenau im Bodensee umstritten.

Um so reichhaltiger gediehen in den folgenden Jahrhunderten die My­then um Widukinds Person und Wirken – bis hin zu zahllosen Versu­chen, ihn genealogisch für eigene oder fremde Ahnengalerien zu be­anspruchen. Das Widukind Museum in Enger beleuchtet dieses Nach­leben seit 2006 in seiner Dauerausstellung. Die hier künstlerisch verfremdete Taufszene basiert auf einer Skizze von Alfred Rethel (1816-1859) für die Volks­ausgabe der Allgemeinen Weltgeschichte von Karl von Rotteck.

LAV NRW W, W 351/Plakatsammlung, Nr. 3190

Februar: Seelenheil durch Vernetzung

Vorstellungen über das Leben nach dem Tod spielten eine bedeutende Rolle im Mittelalter. Zur Verkürzung der Zeit im Fegefeuer bzw. zur Er­langung des ewigen Lebens versuchte man, sich der betenden Fürspra­che möglichst vieler Menschen zu versichern. So verbanden sich etwa die Mönche der Reichsabtei Corvey mit zahlreichen anderen Klöstern in Gebetsverbrüderungen, die in der Mitte des 12. Jahrhunderts so sorgfäl­tig wie prachtvoll im Liber Vitae, dem Buch des Lebens, aufgelistet wur­den.

Das Fraternitätsbuch enthält 85 geschmückte Seiten mit den Namen der beteiligten Abteien und Mönche und präsentiert auf der Widmungsseite in der Mitte den Heiligen Stephanus, dem der zu seinen Füßen abgebil­dete Propst Adalbert von Corvey den Kodex überreicht. Links und rechts von Stephanus stehen die Äbte Warin von Corvey und jener Hilduin von St. Denis, der im 9. Jahrhundert von Ludwig dem Frommen nach Corvey verbannt worden war.

LAV NRW W, W 001/Manuskripte I, Nr. 133, fol. 17

März: 40 Tage Ablass für eine Messe

Die Vorstellung oder auch Hoffnung, sich von befristeten Sündenstrafen durch Bußwerke befreien zu können, enstand erst im Mittelalter und entwi­ckelte sich ab dem 11. Jahrhundert zu jenem ausdifferenzierten Ablasswesen, das im 16. Jahrhundert den Anstoß zur Reformation gab. Die gezeigte Urkun­de vom 2. Januar 1342 verspricht den Besuchern bestimmter Messen in der Stiftskirche zu Fröndenberg und den Spendern von Dotationen an das Klos­ter einen Ablass von 40 Tagen, also eine entsprechende Verkürzung der Verweildauer im Fegefeuer. Die Urkun­de war von 12 Bischöfen und einem Erzbischof besiegelt und wurde in gro­ßem Format (64x87cm) gefertigt – ver­mutlich zur öffentlichen Präsentation in der Kirche.

In der überdimensionierten Initiale sind Christus mit einem Regenbogen sowie zwei Engel zu erkennen, während der Text von Darstellungen der heiligen Maria (rechts unten) und Margareta (links unten) sowie der zwölf Apostel umrahmt wird.

LAV NRW W, W 701/Urkundenselekt, AB 4

April: Rückblick auf die Reformation im Rückblick

Ob Martin Luther seine 95 Thesen, mit denen er gegen den kirchli­chen Ablasshandel protestierte, tatsächlich am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg anschlug, ist seit einigen Jahrzehnten umstritten – sicher ist aber, dass diese Thesen jenen re­formatorischen Prozess auslösten, der die europäische Geschichte mindestens bis zum Westfälischen Frieden von 1648 prägte und in den christlichen Konfessionen bis heute wirksam ist...

Ob Martin Luther seine 95 Thesen, mit denen er gegen den kirchli­chen Ablasshandel protestierte, tatsächlich am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg anschlug, ist seit einigen Jahrzehnten umstritten – sicher ist aber, dass diese Thesen jenen re­formatorischen Prozess auslösten, der die europäische Geschichte mindestens bis zum Westfälischen Frieden von 1648 prägte und in den christlichen Konfessionen bis heute wirksam ist.

200 Jahre später erinnert Johann Christoph Hafner (1668-1754) mit dieser Allegorie an das Wirken Luthers und seiner Mitstreiter Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen und Justus Jonas, „welche durch Göttlichen antrib das Wort Gottes, so unter dem Schäffel ver­borgen gewessen, wider an das Licht gebracht“ hatten. Zu den vier dunkel gekleideten Reformatoren gesellen sich Luthers weltlicher Schutzherr, der mit einem Schwert bewaffnete sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, ein Engel mit Zitaten aus der Apokalypse und zwei Frauenfiguren, die mit dem Liber Concordiae von 1580 und der Confessio Augustana von 1530 zwei zentrale reformatorische Schrif­ten sowie die Bibel präsentieren.

LAV NRW W, V 601/Forschungsstelle "Westfälischer Frieden", Nr. II 73

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Mai: Häretiker als Zahlungsmittel

Im Täuferreich zu Münster kulminierte in den Jah­ren 1534/35 jene radikal-reformatorische Bewe­gung, die von ihren Gegnern abwertend als „Wie­dertäufer“ bezeichnet wurde, weil sie die Kinder­taufe als unbiblisch ablehnte und die Taufe von er­wachsenen Gläubigen propagierte. Sie war in den 1520er Jahren in Zürich, Straßburg und Süd­deutschland entstanden und hatte sich dann nach Norden, besonders in den Niederlanden verbrei­tet...

Im Täuferreich zu Münster kulminierte in den Jah­ren 1534/35 jene radikal-reformatorische Bewe­gung, die von ihren Gegnern abwertend als „Wie­dertäufer“ bezeichnet wurde, weil sie die Kinder­taufe als unbiblisch ablehnte und die Taufe von er­wachsenen Gläubigen propagierte. Sie war in den 1520er Jahren in Zürich, Straßburg und Süd­deutschland entstanden und hatte sich dann nach Norden, besonders in den Niederlanden verbrei­tet.

In Münster bildete sich unter dem Einfluss des re­formatorischen Predigers Bernd Rothmann sowie der niederländischen Täufer Jan Matthys und Jan van Leiden eine apokalyptisch-endzeitliche Sekte heraus, die 1534 die Ratswahlen gewann und ein autoritäres Regime installierte, gegen das schließ­lich Fürstbischof Franz von Waldeck mit verbün­deten katholischen und evangelischen Fürsten mi­litärisch vorging. Unter dem Druck der Belagerung und der dadurch verursachten Hungersnot radika­lisierte sich die Täufer-Herrschaft unter dem inzwi­schen zum König proklamierten Jan van Leiden zunehmend und führte zu berüchtigten Maßnah­men wie der Einführung der Polygamie. Am 25. Juni 1535 eroberten die bischöflichen Truppen die Stadt und richteten ein Blutbad unter den Verteidi­gern an. Die Anführer Jan van Leiden, Bernd Knipperdolling und Bernd Krechting wurden am 22. Januar 1536 nach ausgiebiger Folterung hin­gerichtet, ihre Leichen am Turm der Lambertikir­che in drei Eisenkäfigen präsentiert, die heute noch dort hängen.

Als nach Ende des Ersten Weltkriegs aus Angst vor Inflation massenhaft Münzgeld gehortet und daher das Kleingeld knapp wurde, plante die Stadt Münster (wie an­dere Kommunen auch) die Ausgabe eines Notgeldes. Die 1921 als „Wiedertäufer-Notgeld“ herausgegebene Serie mit den vom Paderborner Graphiker Josef Domini­cus entworfenen Motiven gelangte allerdings nie in öffentlichen Umlauf und blieb ein reines Sammlerobjekt.

LAV NRW W, V 091/Nachlass Eduard Schulte (Dep.), Nr. 375

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Juni: Jesuiten aus gegnerischer Sicht

Die 1534 von Ignatius von Loyola gegründete und 1540 von Papst Paul III. als Orden anerkannte „Gesellschaft Jesu“ verpflichtete ihre Mitglieder neben Armut und Ehelosigkeit insbesondere auf unbedingten Gehorsam gegenüber dem Papst. Auch deshalb ka­men im Laufe ihres europaweiten Einsatzes in der katholischen Gegenreformation bald Verschwörungstheorien gegen die Jesui­ten auf, die (nicht nur) von protestantischer Seite für viele (tat­sächliche wie erfundene) Mordanschläge, Intrigen oder sonstige Machenschaften verantwortlich gemacht wurden...

Die 1534 von Ignatius von Loyola gegründete und 1540 von Papst Paul III. als Orden anerkannte „Gesellschaft Jesu“ verpflichtete ihre Mitglieder neben Armut und Ehelosigkeit insbesondere auf unbedingten Gehorsam gegenüber dem Papst. Auch deshalb ka­men im Laufe ihres europaweiten Einsatzes in der katholischen Gegenreformation bald Verschwörungstheorien gegen die Jesui­ten auf, die (nicht nur) von protestantischer Seite für viele (tat­sächliche wie erfundene) Mordanschläge, Intrigen oder sonstige Machenschaften verantwortlich gemacht wurden.

Das 1618 publizierte Flugblatt listet die angeblichen Untaten aus­führlich in vier (hier gekürzten) Spalten auf und illustriert das jesui­tische Unwesen mit einer allegorischen Szene. Im Zentrum steht ein Baum, der aus der Brust des schlafenden Martin Luther her­auswächst und im Wipfel die vier Tugenden Glaube, Liebe, Hoff­nung und Geduld trägt. Die Axthiebe, mit denen eine Gruppe von Jesuiten den Baum zu fällen versucht, sind wirkungslos und las­sen lediglich das Wort Gottes (Verbum Dei) hervorquellen. Im Hintergrund rechts nehmen Jesuiten gegen Bezahlung Einfluss auf adelige Machthaber und verursachen durch ihre Ratschläge (vana consilia Iesuitarum) Krieg und Elend mit brennenden Städ­ten. Links ist der Höllenschlund zu erkennen, vor dem ein Jesuit und drei Teufel mit Würfeln spielen.

Das Motiv des aus dem Reformator Luther sprießenden Baumes bezieht sich vermutlich auf die Wurzel Jesse, den alttestamentari­schen Stammbaum Jesu, und wird in der konfessionellen Propa­ganda bis ins 18. Jahrhundert verwendet.

LAV NRW W, V 601/Forschungsstelle "Westfälischer Frieden", Nr. II 83

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Juli: Im Diesseits an das Jenseits denken

In Kunst und Literatur des abendländisch-christlichen Barock ist die mahnende Erinnerung an die menschliche Vergänglichkeit ein weit verbreitetes Motiv. Sie begegnet indessen bereits im alten Rom, wo man den siegreichen Feldherren mit Triumphzügen ehrte und ihn zu­gleich dadurch zu erden versuchte, dass der jeweilige Halter des obli­gatorischen Lorbeerkranzes ihm ständig die Zeile „memento morien­dum esse!“ (bedenke, dass du sterben musst) zuflüsterte...

In Kunst und Literatur des abendländisch-christlichen Barock ist die mahnende Erinnerung an die menschliche Vergänglichkeit ein weit verbreitetes Motiv. Sie begegnet indessen bereits im alten Rom, wo man den siegreichen Feldherren mit Triumphzügen ehrte und ihn zu­gleich dadurch zu erden versuchte, dass der jeweilige Halter des obli­gatorischen Lorbeerkranzes ihm ständig die Zeile „memento morien­dum esse!“ (bedenke, dass du sterben musst) zuflüsterte.

Die spezifisch christliche Bedeutung des Memento mori entwickelte sich im Hochmittelalter im Zuge der vom Kloster Cluny ausgehenden Reformbewegung, die sich für eine Rückbesinnung der Klöster auf die Benediktsregel und eine Erneuerung der institutionellen Kirche ein­setzte. Die Betonung der Vergänglichkeit (vanitas) allen Lebens sollte die Menschen veranlassen, ihr irdisches Dasein so zu gestalten, dass sie vor dem Gericht des Jüngsten Tages würden bestehen können. Besonders häufig wurde das Motiv in Krisenzeiten wie der Pest im 14. Jahrhundert oder der Glaubenskriege im 16. und 17. Jahrhundert ver­wendet.

Das hier gezeigte Memento mori datiert vermutlich aus dem späten 17. Jahrhundert und ist in ein Manuskript mit Gebeten und geistlichen Liedern eingeklebt. Die Mahnung wirkt um so eindrücklicher, als sie sich an eine glückliche Familie mit Mutter, spielenden Kindern und er­folgreichem Vater richtet, der gerade seine Reichtümer zählt.

LAV NRW W, V 502/Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abteilung Münster (Dep.) - Handschriften, Nr. 413

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August: Zwischen Duldung, Ausbeutung und Verfolgung

Während Häretikern im Urteil der mittelalterlichen Kirche kein Le­bensrecht zustand, gehörten Juden einerseits als Volk des Alten Testaments zur göttlichen Ordnung, wurde andererseits ihre Exis­tenz in weltweiter Diaspora als Strafe Gottes für ihre vermeintliche Schuld am Tode Jesu gedeutet. Angesichts dieses zwiespältigen, aber angeblich gottgewollten Schicksals stellten wiederholte päpstli­che Bullen Juden unter kirchenrechtlichen Schutz und untersagten etwa Zwangstaufen, Verfolgungen oder gar Tötungen...

Während Häretikern im Urteil der mittelalterlichen Kirche kein Le­bensrecht zustand, gehörten Juden einerseits als Volk des Alten Testaments zur göttlichen Ordnung, wurde andererseits ihre Exis­tenz in weltweiter Diaspora als Strafe Gottes für ihre vermeintliche Schuld am Tode Jesu gedeutet. Angesichts dieses zwiespältigen, aber angeblich gottgewollten Schicksals stellten wiederholte päpstli­che Bullen Juden unter kirchenrechtlichen Schutz und untersagten etwa Zwangstaufen, Verfolgungen oder gar Tötungen.

Gleichwohl fielen Juden infolge absurder Verschwörungstheorien (Hostienfrevel, Ritualmorde, Brunnenvergiftung) immer wieder Po­gromen zum Opfer, so etwa im Umfeld des ersten Kreuzzugs (1096-1099) oder während der Pest um 1350. Diese Bedrohung hatten schon die Karolinger dazu genutzt, Juden gegen Bezahlung königli­che (aber nicht unbedingt wirksame) Schutzprivilegien zu erteilen. Mit der Goldenen Bulle von 1356 ging das so genannte Judenregal zunächst auf die Kurfürsten, später sukzessive auf die einzelnen Territorialherren über, die die „Schutzjuden“ zunehmend nicht mehr individuell privilegierten, sondern gegen Entrichtung steuerartiger Schutzgelder kollektiv den seit dem 16. Jahrhundert entwickelten „Judenordnungen“ unterstellten. Ihre gesellschaftlichen, wirtschaftli­chen und religiösen Vorschriften engten (zahlungsfähige) Juden ei­nerseits ein, gewährten ihnen andererseits eine gewisse Rechtssi­cherheit und leiteten so zur schrittweisen Emanzipation der Juden im 19. Jahrhundert über.

Bei dem gezeigten religiösen Debattenverbot handelt es sich um den 44. von 55 Paragrafen der nassauischen „Schutzjudenordnung“ von 1770; das Foto zeigt die 1880 eingeweihte und in der Reichspog­romnacht 1938 von der SA niedergebrannte Synagoge in Münster.

LAV NRW W, E 403/Fürstentum Siegen, Oranien-Nassauische Behörden, Zentralbehörden in Dillenburg, I A Nr. 145; W 201/Bildersammlung, Nr. 4939

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September: Allmächtiger Baumeister aller Welten?

Die Freimaurerei wurzelt in Steinmetzbruderschaften des hohen Mittelalters und entwickelte sich in der Frühen Neuzeit zu einer spekulativ-ethischen Vereinigung, die den Idealen der Freiheit, Gleichheit, Brü­derlichkeit, Toleranz und Humanität verpflichtet ist. Auf Grundlage der 1723 publizierten freimaurerischen Grundsätze („Alte Pflichten“), sind die Mitglieder in Logen organisiert, verteilen sich auf mehrere Grade (u.a. Lehrling, Meister vom Stuhl) und halten in Tempeln rituelle Sitzungen ab, in denen etwa (unter Aus­schluss tagespolitischer oder religiöser Themen) Vorträge gehalten werden. Um den freien Austausch von Ideen und Meinungen zu gewährleisten, sind Freimaurer zur Verschwiegenheit über die internen Bräuche und Verhandlungen verpflichtet...

Die Freimaurerei wurzelt in Steinmetzbruderschaften des hohen Mittelalters und entwickelte sich in der Frühen Neuzeit zu einer spekulativ-ethischen Vereinigung, die den Idealen der Freiheit, Gleichheit, Brü­derlichkeit, Toleranz und Humanität verpflichtet ist. Auf Grundlage der 1723 publizierten freimaurerischen Grundsätze („Alte Pflichten“), sind die Mitglieder in Logen organisiert, verteilen sich auf mehrere Grade (u.a. Lehrling, Meister vom Stuhl) und halten in Tempeln rituelle Sitzungen ab, in denen etwa (unter Aus­schluss tagespolitischer oder religiöser Themen) Vorträge gehalten werden. Um den freien Austausch von Ideen und Meinungen zu gewährleisten, sind Freimaurer zur Verschwiegenheit über die internen Bräuche und Verhandlungen verpflichtet.

Ambivalent ist das Verhältnis der Freimaurer zur Religion: Während die in der französisch-laizistischen Tradition stehenden Logen jede weltanschauliche Festlegung vermeiden, setzen die Logen, die sich auf die englische Großloge von 1717 berufen, meist eine göttliche Ordnung, einen „allmächtigen Baumeister aller Welten“ oder ein „Höchstes Wesen“ voraus. Ähnlich uneinheitlich die umgekehrte Position der gro­ßen Religionsgemeinschaften: Einerseits erlauben Judentum und Evangelische Kirche ihren Gläubigen die Freimaurerei, andererseits dürfen weder Katholiken noch Muslime Mitglied einer Loge sein.

Der Anteilschein der Johannis-Loge zu Minden stammt aus Akten der NSDAP-Gauleitung Nord und verweist damit auf die 1933 einsetzende Verfolgung der Freimaurer und ihrer Logen, die 1935 verboten und schließlich enteignet wurden.

LAV NRW W, S 003/NSDAP-Gauleitung Nord, Nr. 191

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Oktober: Vom „Wachtturm“ ins Konzentrationslager

Das Christentum hat sich im Verlauf seiner zweitausendjährigen Geschichte nicht nur in die großen Kirchen katholischer, orthodoxer und evangelischer Konfession, sondern auch in zahllose weitere kirchliche Gemeinschaften und Sekten aufgespalten. Zu den jüngeren Gruppierungen gehören die Zeugen Jehovas, die 1931 aus der um 1880 in den USA entstandenen Bibelforscherbewegung bzw. der Wachtturm-Gesellschaft hervorgegangen sind...

Das Christentum hat sich im Verlauf seiner zweitausendjährigen Geschichte nicht nur in die großen Kirchen katholischer, orthodoxer und evangelischer Konfession, sondern auch in zahllose weitere kirchliche Gemeinschaften und Sekten aufgespalten. Zu den jüngeren Gruppierungen gehören die Zeugen Jehovas, die 1931 aus der um 1880 in den USA entstandenen Bibelforscherbewegung bzw. der Wachtturm-Gesellschaft hervorgegangen sind.

Die Abbildung zeigt den Umschlag einer 1933 in Deutschland publizierten und verteilten Broschüre, die drei Radiovorträge von Joseph Franklin Rutherford (1869-1942) enthält, der 1917zum Nachfolger von Charles T. Russell, des Mitbegründers der Bibelforscher, gewählt worden war. Während sich zwei eher unpolitische Vorträge mit der Diskriminierung der Zeugen Jehovas und dem Wesen der Liebe befassen, fragt ein dritter Beitrag nach der Zukunft der amerikanischen Regierung und prophezeit eine vom Großkapital gestützte Militärdiktatur. Angeblich begnügte sich Goebbels‘ Propaganda-Ministerium zunächst damit, die weitere Verbreitung der Druckschrift von der Entfernung des Umschlags abhängig zu machen, bevor dann am 24. Juni 1933 das Verbot der Zeugen Jehovas jegliche Aktivitäten in die Illegalität zwang und jene physische Verfolgung einleitete, die zur Inhaftierung in Konzentrationslagern unter der eigens für „Bibelforscher“ eingeführten Kennzeichnung mit einem lila Winkel führte.

Nachdem die Zeugen Jehovas seit 1950 auch in der DDR verboten und mit Haftstrafen verfolgt worden waren, ist ihnen seit 2006 sukzessive von allen Bundesländern der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt worden.

LAV NRW W, Q 211a/Generalstaatsanwalt Hamm, Erstinstanzliche Strafsachen, F 612

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November: Hippies, Missionare oder Sekte?

Auf dem Höhepunkt der Hippie-Bewegung in Kalifornien begann 1968 der aus einem christlich-evangelikal geprägten Elternhaus stammende David Berg (1919-1994), Jugendliche aus der Subkultur in Huntington Beach südlich von Los Angeles zu missionieren. Die rasch anwachsende Anhän­gerschaft organisierte Berg hierarchisch unter dem Namen „Kinder Gottes“, an deren Spitze er selbst mit dem Beinamen Mose als „König und Prophet“ fungierte...

Auf dem Höhepunkt der Hippie-Bewegung in Kalifornien begann 1968 der aus einem christlich-evangelikal geprägten Elternhaus stammende David Berg (1919-1994), Jugendliche aus der Subkultur in Huntington Beach südlich von Los Angeles zu missionieren. Die rasch anwachsende Anhän­gerschaft organisierte Berg hierarchisch unter dem Namen „Kinder Gottes“, an deren Spitze er selbst mit dem Beinamen Mose als „König und Prophet“ fungierte.

Die christlich-chiliastische Botschaft und der missionarische Anspruch wur­den in der öffentlichen Wahrnehmung bald von den sexuellen Methoden bei der Rekrutierung neuer Mitglieder und von den promiskuitiven, teils wohl auch pädophilen Umgangsformen in den Wohngemeinschaften („Ko­lonien“) der Gruppe verdrängt. Nicht zuletzt angesichts drohender Ge­richtsverfahren löste Berg die „Kinder Gottes“ 1978 auf, gründete jedoch umgehend unter dem Namen „Familie der Liebe“ eine neue Vereinigung mit ähnlichen Zielen, die bis in die Gegenwart als „Die internationale Fami­lie“ aktiv ist.

Seit Mitte der 1970er Jahre übte Berg die spirituelle Leitung der „Kinder Gottes“ u.a. mittels der „Mo-Briefe“ aus, die seine aktuellen Ansichten und Weissagungen, aber auch konkrete Verhaltensregeln teilweise mit Comic-Illustrationen kommunizierten. In der gezeigten Ausgabe von 1974 ver­dammt „Mose David“ das urban-entfremdete Leben in Großstädten und fordert seine Jünger auf, in den „himmlischen Heimen“ dörflicher Gemein­schaft und vorzugsweise mit Selbstversorgung zu leben.

LAV NRW W, W 401/Druckschriftensammlung, Nr. 538

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Dezember: Denkfreiheit statt Glaubenszwang?

Der Begriff „Freidenker“ wurde um 1700 in England geprägt und 1715 von Gott­fried Wilhelm Leibniz in den deutschen Sprachraum eingeführt. In der Aufklärung des 18. Jahrhunderts bezeichnete er jene Philosophen und Freigeister, die als Skeptiker, Agnostiker oder auch Atheisten von Religion und Kirche unabhängige Ansichten vertraten. Im 19. Jahrhundert blieb dieses Gedankengut zunächst auf bürgerliche Schich­ten beschränkt, verbreitete sich dann aber auch in der entstehenden Arbeiterbe­wegung....

Der Begriff „Freidenker“ wurde um 1700 in England geprägt und 1715 von Gott­fried Wilhelm Leibniz in den deutschen Sprachraum eingeführt. In der Aufklärung des 18. Jahrhunderts bezeichnete er jene Philosophen und Freigeister, die als Skeptiker, Agnostiker oder auch Atheisten von Religion und Kirche unabhängige Ansichten vertraten.

Im 19. Jahrhundert blieb dieses Gedankengut zunächst auf bürgerliche Schich­ten beschränkt, verbreitete sich dann aber auch in der entstehenden Arbeiterbe­wegung. 1881 wurde u.a. von Ludwig Büchner und Wilhelm Liebknecht der „Deutsche Freidenkerbund“ gegründet, der nach verschiedenen Fusionen mit ähnlichen Vereinen und Umbenennungen (darunter 1922 „Gemeinschaft Proleta­rischer Freidenker“) 1930 in den „Deutschen Freidenker-Verband“ überging.

Laut Satzung sind seine Mitglieder einer rationalen Weltsicht jenseits jeder Reli­gion verpflichtet und setzen sich auf der Basis von Freiheit, Gleichheit und Tole­ranz für eine tätige Humanität ein. Im Angebot sind auch konkrete Vorschläge für die Gestaltung weltlicher Zeremonien bei familiären Anlässen wie Geburt, Heirat oder Tod.

Das aus einer polizeilichen Beobachtungsakte stammende Flugblatt der Ortsgruppe Münster zur Kommunalwahl 1979 scheint zwar durch die Überblendung der Silhouetten von Dom und Rathaus eine Verfilzung von Klerus und Stadt zu unterstellen, deutet eine Wahlempfehlung jedoch eher zaghaft an.

LAV NRW W, K 700/Polizeipräsidien, Nr. 4193 und Q 211a/Generalstaatsanwalt Hamm, Erstinstanzliche Strafsachen, Nr. 16009

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