Von Recht-, Anders- und Ungläubigen (Archivale des Monats der Abteilung Westfalen)
1235 Jahre nach der Taufe des Sachsen-Herzogs Widukind, 1215 Jahre nach der Weihe Liudgers zum ersten Bischof von Münster und 485 Jahre nach Ende des Täuferreiches von Münster gibt die Abteilung Westfalen des Landesarchivs NRW mit dem Archivale des Monats im Jahr 2020 Einblicke in die zahllosen Spuren, die religiöses und weltanschauliches Denken, Handeln und Leiden in Schrift und Bild hinterlassen haben. Die ausgewählten Dokumente werfen einerseits Schlaglichter darauf, was Menschen (vornehmlich) in Westfalen geglaubt und deshalb getan oder auch erduldet haben. Sie erinnern andererseits auch daran, dass es stets eine Frage der Perspektive bleibt, wer für wen als Rechtgläubiger, Häretiker oder auch als Ungläubiger gilt.
Januar: Taufe als Bekehrung und/oder Unterwerfung
Vor 1235 Jahren, vermutlich zum Weihnachtsfest 785, ließ sich der Sachsen-Herzog Widukind in Anwesenheit des fränkischen Königs Karl taufen, nachdem er zuvor dreizehn Jahre lang den sächsischen Widerstand gegen die Eingliederung Nordwestdeutschlands in das fränkische Reich angeführt hatte. Sichere Quellen zu seinem weiteren Lebenslauf sind nicht überliefert, Identifizierungsversuche mit einem Mönch Widukind auf der Reichenau im Bodensee umstritten.
Um so reichhaltiger gediehen in den folgenden Jahrhunderten die Mythen um Widukinds Person und Wirken – bis hin zu zahllosen Versuchen, ihn genealogisch für eigene oder fremde Ahnengalerien zu beanspruchen. Das Widukind Museum in Enger beleuchtet dieses Nachleben seit 2006 in seiner Dauerausstellung. Die hier künstlerisch verfremdete Taufszene basiert auf einer Skizze von Alfred Rethel (1816-1859) für die Volksausgabe der Allgemeinen Weltgeschichte von Karl von Rotteck.
LAV NRW W, W 351/Plakatsammlung, Nr. 3190
Februar: Seelenheil durch Vernetzung
Vorstellungen über das Leben nach dem Tod spielten eine bedeutende Rolle im Mittelalter. Zur Verkürzung der Zeit im Fegefeuer bzw. zur Erlangung des ewigen Lebens versuchte man, sich der betenden Fürsprache möglichst vieler Menschen zu versichern. So verbanden sich etwa die Mönche der Reichsabtei Corvey mit zahlreichen anderen Klöstern in Gebetsverbrüderungen, die in der Mitte des 12. Jahrhunderts so sorgfältig wie prachtvoll im Liber Vitae, dem Buch des Lebens, aufgelistet wurden.
Das Fraternitätsbuch enthält 85 geschmückte Seiten mit den Namen der beteiligten Abteien und Mönche und präsentiert auf der Widmungsseite in der Mitte den Heiligen Stephanus, dem der zu seinen Füßen abgebildete Propst Adalbert von Corvey den Kodex überreicht. Links und rechts von Stephanus stehen die Äbte Warin von Corvey und jener Hilduin von St. Denis, der im 9. Jahrhundert von Ludwig dem Frommen nach Corvey verbannt worden war.
LAV NRW W, W 001/Manuskripte I, Nr. 133, fol. 17
März: 40 Tage Ablass für eine Messe
Die Vorstellung oder auch Hoffnung, sich von befristeten Sündenstrafen durch Bußwerke befreien zu können, enstand erst im Mittelalter und entwickelte sich ab dem 11. Jahrhundert zu jenem ausdifferenzierten Ablasswesen, das im 16. Jahrhundert den Anstoß zur Reformation gab. Die gezeigte Urkunde vom 2. Januar 1342 verspricht den Besuchern bestimmter Messen in der Stiftskirche zu Fröndenberg und den Spendern von Dotationen an das Kloster einen Ablass von 40 Tagen, also eine entsprechende Verkürzung der Verweildauer im Fegefeuer. Die Urkunde war von 12 Bischöfen und einem Erzbischof besiegelt und wurde in großem Format (64x87cm) gefertigt – vermutlich zur öffentlichen Präsentation in der Kirche.
In der überdimensionierten Initiale sind Christus mit einem Regenbogen sowie zwei Engel zu erkennen, während der Text von Darstellungen der heiligen Maria (rechts unten) und Margareta (links unten) sowie der zwölf Apostel umrahmt wird.
LAV NRW W, W 701/Urkundenselekt, AB 4