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Forscherwerkstatt

In der Forscherwerkstatt werden zu ausgewählten Themen Dokumente aus dem Landesarchiv für Schülerinnen und Schüler zum selbstständigen Entdecken und Erforschen bereitgestellt. Die Begegnung mit originalen Zeugnissen der Geschichte lädt zur historischen Spurensuche ein, fordert zur kritischen Quellenarbeit auf und ermöglicht eigene Einblicke, Erkenntnisse und Urteile. Die Forscherwerkstatt wird im Landesarchiv sowohl vor Ort als Präsenzveranstaltung angeboten als auch in digitaler Form. Leitend ist hierbei das Prinzip des forschend-entdeckenden Lernens. Es werden daher keine kleinschrittigen Stundenentwürfe bereitgestellt, sondern Quellen so, wie sie bei einer Recherche im Landesarchiv gefunden werden können. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich an ihren eigenen Untersuchungsfragen orientieren, den originalen, unkommentierten und ungebrochenen Quellen direkt begegnen, diese möglichst selbstständig quellenkritisch auswerten und auf diese Weise Geschichte ein Stück weit selbst erforschen.

Der Novemberpogrom 1938 in Krefeld

Für die Forscherwerkstatt I ist eine Akte der Geheimen Staatspolizei (Landesarchiv NRW – Abt. Rheinland RW 36 Nr. 54) mit Weisungen der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf an die Außendienststelle Krefeld digitalisiert worden, die die einzelnen „Maßnahmen gegen Juden“ in der Nacht vom 9. zum 10.11.1938 und ihre Umsetzung vor Ort dokumentieren und den angeblich „spontanen Akt des Volkszorns“ als Reaktion auf die Ermordung des deutschen Legationssekretärs an der Botschaft in Paris als reinen Vorwand offenlegen.

Zur inhaltlichen und didaktischen Erschließung ist ein kurzer Kommentar vorangestellt.

Zur Vertiefung des Themas kann die digitale Forscherwerkstatt mit einem Besuch des Landesarchivs als Ort historischer Überlieferung verbunden werden. Zu zahlreichen namentlich erwähnten jüdischen Verfolgten sind Akten der Geheimen Staatspolizei überliefert, die die Schicksale Einzelner aus Krefeld aufzeigen.

Die Forscherwerkstatt „Der Novemberpogrom in Krefeld“ knüpft an die Kernlehrpläne Geschichte bzw. Gesellschaftslehre Sek I NRW (Inhaltsfeld 7, 8, 10 bzw. 11) und an den Kernlehrplan Geschichte Sek II Gymnasium/Gesamtschule NRW (Inhaltsfeld 5) an und orientiert sich an den formulierten Kompetenzerwartungen.

Die Akte der Geheimen Staatspolizei – Stapoleitstelle Düsseldorf

Die vorliegende Akte wurde von der Außendienststelle Krefeld zum Novemberpogrom angelegt und umfasst den Zeitraum vom 10.11.1938 bis Juli 1940.

Die Akte beginnt mit einer Notiz vom 10.11.1938 über die fernmündliche Anweisung der Stapo Düsseldorf um 2 Uhr nachts, dass „sämtliche Beamte der Außendienststelle zu alarmieren“ seien und „sich auf der Dienststelle aufzuhalten“ hätten. (Bl. 1) und danach folgt die Mitschrift der dezidierten Richtlinien des Reichsführers SS und Chef der Polizei für die geplante „Maßnahme gegen die Juden“ (Bl. 2 – 4), die erneut fernmündlich um 4 Uhr nachts von der Stapo Düsseldorf mitgeteilt werden.

Im weiteren Verlauf der Akte finden sich Weisungen des Brigadeführers Heinrich Müller, des späteren Chefs des Amtes IV (Gestapa) im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), die Festnahmen und Überführungen von Juden in Konzentrationslager über den 10.11.1938 hinaus fortzusetzen (Bl. 7), eine fernmündliche Anweisung des Leiters des Judenreferats der Gestapo Düsseldorf Wilhelm Friedrich (Bl. 23) und Berichte der Außendienststelle über deren Umsetzung. (Bl. 10, Bl. 16 f., Bl. 32).

Darüber hinaus eine Anordnung des Leiters der Gestapo Reinhard Heydrich vom 10.11.1938 „rücksichtslos“ gegen Plünderer vorzugehen, die Täter festzunehmen und die „Sachwerte sicherzustellen“ (Bl. 11). Auch darüber wird genau Bericht erstattet. (Vgl. Bl. 12, Bl. 17 -19, Bl 25 – 27, Bl. 38).

Am 17.11.1938 weist Wilhelm Friedrich die Außendienststellen und Grenzpolizeikommissariate, die Landräte des Bezirks und die Polizeiverwaltungen in Neuss und Viersen in einem geheimen Schnellbrief an, die „Festnahmeaktion gegen die Juden“ sofort einzustellen, aber für jeden Festgenommenen ein Formblatt anzulegen. Außerdem dürften „Arisierungsverhandlungen“ durch die Verhaftungen „nicht gestört werden“. Sollten die Betreffenden schon in „Schutzhaft“ sein, seien sie „unter Auflage einer täglichen Meldepflicht sofort (…) zu entlassen“. Auch Juden, die bereits Auswanderungspapiere hätten oder deren Auswanderungstermin feststehe, seien aus dem Konzentrationslager zu entlassen. Das Gleiche gelte für „Fälle, in denen an der sofortigen Entlassung von Juden ein dringendes Interesse der deutschen Wirtschaft“ bestehe. (Vgl. Bl. 34). Ergänzend zu der Verfügung vom 17.11.1938 ordnet der Dienststellenleiter der Gestapostelle Düsseldorf Franz Sommer am 22.11.1938 die Außendienststellen an, „Juden, ...

Am 17.11.1938 weist Wilhelm Friedrich die Außendienststellen und Grenzpolizeikommissariate, die Landräte des Bezirks und die Polizeiverwaltungen in Neuss und Viersen in einem geheimen Schnellbrief an, die „Festnahmeaktion gegen die Juden“ sofort einzustellen, aber für jeden Festgenommenen ein Formblatt anzulegen. Außerdem dürften „Arisierungsverhandlungen“ durch die Verhaftungen „nicht gestört werden“. Sollten die Betreffenden schon in „Schutzhaft“ sein, seien sie „unter Auflage einer täglichen Meldepflicht sofort (…) zu entlassen“.

Auch Juden, die bereits Auswanderungspapiere hätten oder deren Auswanderungstermin feststehe, seien aus dem Konzentrationslager zu entlassen. Das Gleiche gelte für „Fälle, in denen an der sofortigen Entlassung von Juden ein dringendes Interesse der deutschen Wirtschaft“ bestehe. (Vgl. Bl. 34).

Ergänzend zu der Verfügung vom 17.11.1938 ordnet der Dienststellenleiter der Gestapostelle Düsseldorf Franz Sommer am 22.11.1938 die Außendienststellen an, „Juden, die älter als 55 Jahre“ (…) und „nicht in das Konzentrationslager Dachau überführt worden“ seien, zu entlassen (Bl. 46).

Im Weiteren finden sich neben Entlassungsberichten der Außenstelle Krefeld (Vgl. Bl. 37 und Bl. 41), Ersuchen um Entlassung aus dem KZ Dachau (Bl. 39 f., Bl 50, Bl. 56) und dortige Entlassungsberichte (Bl. 87 bzw. 90, Bl. 89 bzw. 92, Bl. 99 – 104).

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In einem ergänzenden Schnellbrief vom 29.11.1938 wird „aufgrund einer zentralen Anordnung“ von der Stapo Düsseldorf verfügt, dass „alle Juden, die im Zuge der Verwaltungsaktion festgenommen worden sind und Frontkämpfer waren, zu entlassen“ seien (Bl. 62).

Für den Einsatz im Unterricht bieten sich verschiedene Möglichkeiten:

1.

Schülerinnen und Schüler können eigene Fragen entwickeln und im Rahmen der Projektarbeit die gesamte Akte auswerten. 

Ähnlich wie Historikerinnen und Historiker müssen sie sich einen Überblick verschaffen, einzelne Quellen auswählen, kritisch auswerten und ihre Erkenntnisse und Urteile am Ende zusammenfassen und präsentieren.

Zusätzlich
2.

Der Forschungsprozess kann aber auch durch die Vorauswahl oder Aufteilung von Quellen strukturiert und eingegrenzt werden.

Bei der Akte der Geheimen Staatspolizei steht die Frage nach der Täterperspektive im Vordergrund.

Neben den einzelnen Akteuren werden hier weitere Aspekte des Novemberpogroms deutlich. Wie oben aufgezeigt, geht es den Tätern einerseits darum Juden zu inhaftieren, aber auch „Sachwerte sicherzustellen“ und „Arisierungsverhandlungen“ durch Verhaftungen nicht zu stören.

Darüber hinaus zeigt sich, dass auch Auswanderungsabsicht, Alter und Teilnahme am Ersten Weltkrieg im November 1938 noch zur Entlassung aus dem Konzentrationslager Dachau geführt haben.

Zusätzlich
3.

Wie sich diese Maßnahmen für einzelne Betroffene ausgewirkt haben, kann anhand von Gestapoakten des Bestandes RW 0058 (Nr. 26134; 33911; 26126; 26151; 26107; 33904; 38729; 33070; 33905; 24474; 58996; 24012; 24289; 26123; 26137; 26121; 67006; 9103) überprüft werden, die auch digital verfügbar sind.

Entscheidend für die Quellenauswertung ist hierbei die Quellenkritik. Wer berichtet, aus welcher Perspektive, mit welcher Absicht? Schülerinnen und Schüler stehen so vor der Herausforderung, aufgrund der vorhandenen Zeugnisse die Ereignisse eigenständig zu rekonstruieren und die Rolle der Handelnden zu beurteilen. In methodischer Hinsicht vollziehen sie damit den Konstruktionsprozess von Geschichte selbstständig nach.

Zusätzlich