Die Rechtspflege der Vormoderne war von Denkmustern geprägt, die der Gegenwart fremd sind. Dazu zählt die „Urfehde“, also der eidliche bekräftigte Verzicht auf Vergeltung, der seit der fränkischen Zeit nachweisbar ist und auf germanische Bräuche der Blutrache zurückgeht. Insbesondere in der Ausprägung als Hafturfehde hielt sich dieses Institut mancherorts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und hat ungezählte Zeugnisse in Archiven hinterlassen.
Zu den ältesten Beispielen in der Abteilung Westfalen gehört die links gezeigte Urkunde von 1283, mit der sich Graf Otto von Tecklenburg für jene Urfehde („orgsvede“) verbürgt, die sein Bruder, der Graf von Bentheim, dem Bernard von Lüdinghausen geschworen hat, bei dem er in Gefangenschaft geraten war.
Zuerst ist der Beginn einer Urfehde aus dem Jahr 1561 zu sehen, die sowohl aufgrund des vorausgegangenen Delikts als auch der verhängten Sanktionen bemerkenswert erscheint: Paul Gentzinger aus Bretzenheim an der Nahe gesteht, dass er „boser mutwilliger und malefitzischer weiß“ des Nachts, als sein Nachbar Hans Lefel (zugleich Vormund seiner Stieftochter) abwesend ist, „inn sein behausung gestigen, zu seiner hausfrouwen, als sie im bet gelegen, geschlichenn unnd sie zum Laster des Ehbruchs bringen unnd begrenn wölln“. Auf ihre Hilferufe hin wurde er im Bett aufgegriffen und hat einige Wochen im Gefängnis zunächst in Bretzenheim, dann in Falkenstein zugebracht, bevor er nun auf Bitten seiner Frau und einiger Verwandter nach Beschwörung eines „urfriedens“ von der drohenden peinlichen Befragung befreit und mit folgenden Auflagen aus der Haft entlassen wird: Ausdrücklicher Verzicht auf Vergeltung gegenüber Graf Johann von Daun zu Falkenstein als Landesherr sowie Schultheiß, Schöffen, Bütteln oder sonstigen Amtsleuten und Untertanen der Herrschaft Bretzenheim; kein Kontakt zu Hans Lefel und dessen Frau; kein Trinken in Wirtshäusern; kein Müßiggang; kein Waffenbesitz; nachts kein Gebrauch von Feuer oder Licht auf der Straße; kein Verkauf des Besitzes; keine Auswanderung; bei Zuwiderhandlung unmittelbare Aburteilung durch den Nachrichter und Verlust sämtlicher Begnadigungsmöglichkeiten. Für die Einhaltung dieser Urfehde stellt Gentzinger zudem zwei Bürgen und kommt so mit einer relativ milden Strafe gleichsam auf Bewährung davon.
LAVNRW W, U 134u/Gesamtarchiv von Landsberg-Velen, Botzlar - Urkunden, Nr. 2; U 132/Gesamtarchiv von Landsberg-Velen - Akten, Nr. 35812.