Im Juni 1910 wird der 30jährige Strafgefangene Edmund Englert, der in Rendsburg eine vierjährige Haftstrafe wegen wiederholten Diebstahls absitzt, aufgrund auffälligen Verhaltens in die „Irrenabteilung“ der Strafanstalt Münster überführt. Bereits bei der Aufnahmeuntersuchung bezeichnet er sich als großen Erfinder und diktiert dem Arzt die Liste seiner Projekte, nämlich: automatische Eisenbahnkupplung, Automobilsteuerung, Sensationszylinder, Aerophon, schwebender Frosch mit Musik, sprechende Zigaretten, Gaskraftturbine, Straßentypograph, Seelenspiegel, Tarnkappe, Krawattenbefestiger, elektrischer Feuermelder, Alarmapparat gegen Einbruch (!); außerdem habe er das „Wesen des Sehens“ entdeckt. In den folgenden Tagen erstellt Englert eigenhändig ein zwölfseitiges „Compendium der Geschichte meiner Erfindungen“, die er nicht nur beschreibt und skizziert, sondern auch nach ihren voraussichtlichen Verkaufserlösen bewertet.
Der Anstaltsarzt kommentiert Englerts Ausführungen in seinem Gutachten mit ironischer Distanz, bescheinigt ihm sprachliche Gewandheit und durchschnittliche Intelligenz und beantragt nach fünfmonatiger Beobachtung, da „zur Zeit der objektive Nachweis einer manifesten Geistesstörung nicht mehr erbracht werden kann“, die Rückverlegung in den normalen Strafvollzug – obwohl er im Krankenbericht Beobachtungen wie diese festgehalten hat: Treibt allerhand Unfug kindischer Art, springt über Tisch und Bänke, balgt sich umher, stellt sich auf die Hände, Beine in die Höhe und läuft so durch den Saal.
Schon im Februar 1911 jedoch wird Englert wieder in die „Irrenabteilung“ zurückverlegt und von dort nach drei Monaten mit der Diagnose „degenerativ gefärbte chronische Paranoia“ in die Psychiatrische und Nervenklinik in Kiel überwiesen. Seine Erfindungen sind offenbar nicht so lukrativ wie erhofft, denn 1924 sitzt er wieder wegen Diebstahls zwei Jahre in Werl ein.
LAV NRW W, Q 923/Justizvollzugsanstalt Münster, Nr. 805.